Opfermal
Frühling bis in den Sommer haben Schaap und ich etwas Interessantes entdeckt. Wenn Sie sich die Karte auf dem Bildschirm genau ansehen, werden Sie feststellen, dass die Sonne schrittweise näher an das Sternbild heranrückt, bis sie gegen Mitte August dann eintritt. Die Sommersonnenwende, der Moment, in dem Nergal angeblich Unheil über die Menschheit bringt, findet am 21. Juni statt. Da die heißesten Monate in Mesopotamien Juli und August sind, ist es nur angemessen, wenn die Sonne und das Sternbild Löwe zu dieser Zeit miteinander verbunden sind. Wie Sie sich erinnern, soll Nergal in seiner frühen babylonischen Erscheinungsform eine Sonnengottheit gewesen sein. Allerdings … das nächste Dia, bitte.«
Eine Nahaufnahme des Planeten Mars im Sternbild Löwe mit der Datumsangabe 3. Juni – 22. Juli 2006 .
»Wenn Sie sich die Bahn des Mars ansehen, also genau des Planeten, den die alten assyrischen Astronomen mit Nergal selbst identifizierten, werden Sie sehen, dass Mars, der Gott des Krieges in diesem Jahr zum Höhepunkt der sommerlichen Sonnenwende im Sternbild Löwe erscheinen wird. Der Mars kreuzt das Sternbild Löwe nur alle zwei Jahre einmal.
Sieht man sich nun die aktuelle Annäherung von Mars und Löwe in Verbindung damit an, wie die Morde in ihren methodischen Einzelheiten fortgeschritten sind, eröffnet sich die Möglichkeit, dass sich in der Vorstellung des Pfählers er und Nergal ebenfalls einander annähern. Vielleicht versucht sich der Pfähler, mit dem Gott zusammenzuschließen. Oder, was ich für wahrscheinlicher halte, er sieht sich vielleicht als eine Art Kleiner Löwe, der mit ihm bis zu seiner Wiederkehr fortschreitet. Der Löwe besteht aus neun Sternen, der Kleine Löwe wird oft nur mit drei Sternen dargestellt. Beide kehren ungefähr zur selben Zeit an den Frühlingshimmel zurück. Und da der Grabstein, den ich in Willow Brook entdeckt habe, sowohl Löwen im Plural enthält als auch genau westlich von der Stelle steht, an der Rodriguez und Guerrera geopfert wurden, sieht sich unser Mann vielleicht als ein Diener Nergals, als eine rechte Hand, wenn man so will, der ihm die Rückkehr erleichtert – was natürlich alles während der Sommersonnenwende stattfinden wird. Was genau wird nun passieren, wenn Nergal zurückkehrt? Nun, da bin ich im Augenblick auch nicht schlauer als Sie. Die Dias raus, bitte. Fragen?«
Schweigen, alle dachten nach – manche verwirrt, andere ungläubig.
»Sie glauben wirklich, der Pfähler könnte alle diese Zusammenhänge hergestellt haben?«, fragte Mr. Spock schließlich.
»Ja, das tue ich«, sagte Markham. »Immerhin dreht sich alles um Zusammenhänge, wenn man sich das Ganze aus Sicht des Pfählers ansieht, oder nicht? Was ist ein Sternbild mehr als ein primitives Spiel, bei dem Punkte verbunden werden. Für sich genommen ergeben die Sterne keinen Sinn. Man muss sie in Relation zueinander sehen, damit das Bild wahrnehmbar wird. Ich habe so ein Gefühl, dass unser Mann überall nach Punkten Ausschau hält, Botschaften, die er zu etwas verknüpft, was ihm ohne Frage die Wiederkehr Nergals anzeigt.«
»Solche Denkprozesse sind in extremen Fällen von paranoidem Wahn üblich«, ergänzte Dr. Underhill. »Ich zögere, unseren Mann als schizophren zu diagnostizieren, aber die Möglichkeit, dass er an einer solchen Psychose leidet, ist sehr groß. Sein Größenwahn ist eine Sache, aber zusätzlich zu den Botschaften, die er zu empfangen glaubt, könnte er auch Stimmen hören und Visionen haben, in denen die Götter ihm Dinge befehlen.«
»Aber der Akt des Pfählens«, sagte Mr. Spock. »Selbst wenn das stimmt, was Sie sagen, kann ich abgesehen von dem langen Speer auf einem der Dias nicht erkennen, was dieser Gott Nergal mit dem Verlangen des Täters, seine Opfer zu pfählen, zu tun hat.«
»So ging es mir zunächst auch«, sagte Markham. »Als ich diesen Fall übertragen bekam, erhielt ich – genau wie Sie – zuerst eine kurze Übersicht über die Geschichte des Pfählens als Form der Hinrichtung. Wie Sie sich erinnern, war Pfählen in der Antike im Nahen Osten gebräuchlich. – Das nächste Bild, bitte.«
Das Foto einer Steintafel mit der Beschriftung Neuassyrisch, 6. Jahrhundert v. Chr.
»Auf diesem Relief sehen wir drei Männer, die von zwei Soldaten gepfählt werden. Es ist eine Abbildung aus der babylonischen Eroberung Judäas, bei der König Nebukadnezar im späten 7. Jahrhundert vor Christus Hunderte von Judäern pfählen ließ.
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