Opfermal
in die wirbelnden Farben zog. Eine andere Frau, weiß gekleidet. Eine junge Frau mit langem schwarzen Haar und einem Lächeln, das aussah wie das von … Cindy Smith?
»Ereshkigal«, sagte seine Mutter, bevor sie verschwand. »Ereshkigal wird uns helfen.«
Zack-zack, Dunkelheit brach herein, und plötzlich war Edmund wieder im Thron-Raum und hielt den Löwenkopf in den Händen. Er hatte ihn sich vom Gesicht gerissen, ohne es zu merken, und stülpte ihn rasch wieder auf seine Halterung. Dann rannte er aus dem Keller, die Treppe hinauf und durch die Küche zur Hintertür hinaus.
Er lief weiter, bis er wohlbehalten in der Scheune war, schloss das Tor hinter sich, riss sich das Hemd vom Leib und fiel vor dem Spiegel in der Pferdebox auf die Knie; die Tempeltüren von Kutha hoben und senkten sich mit seinen Atemzügen.
Er hatte große Angst, aber das war für den Augenblick in Ordnung. Der Prinz war nicht aufgewacht – er würde ihn hier drin nicht einmal hören können, wenn er wach wäre. Nein, dieser Eingang, der letzte von allen, war noch nicht offen.
Ereshkigal , hörte er seine Mutter in seinem Kopf sagen. Ereshkigal wird uns helfen.
Damit hatte er nicht gerechnet – vielleicht noch weniger als damit, von seiner Mutter zu hören. Er wusste, Letzteres musste irgendwann geschehen, besonders, falls sie ihn einmal in der Nähe des Eingangs spürte oder ihn vielleicht zusammen mit dem Prinzen sah.
Aber Ereshkigal? Die Geliebte des Prinzen?
Natürlich kannte Edmund die Geschichte, wie der Prinz sie vergewaltigt und ihr gewaltsam den Thron geraubt hatte. Und wenn er darüber nachdachte, ergab es absolut Sinn, dass Ereshkigal ihnen möglicherweise helfen wollte. Vielleicht war das der Grund, warum der Prinz nicht über Cindy Smith reden wollte. Vielleicht verheimlichte ihm der Prinz doch etwas.
Andererseits, dachte Edmund, verheimlichte der General dem Prinzen ebenfalls etwas – ein Versprechen, das er lange, bevor er gesalbt worden war, gegeben hatte, aber nichtsdestoweniger ein Versprechen, mit dem der Prinz sicher nicht einverstanden sein würde.
Aber konnte das eine Falle sein? Stellte der Prinz die Treue des Generals auf die Probe?
»Der General ist nach wie vor treu«, sagte Edmund laut. »Seine Loyalität ist nur geteilt; und es gibt keinen Grund, warum das nicht ein Teil seiner Belohnung sein kann.«
Aber der Prinz verlangt absolute Hingabe. Du weißt das. Es darf niemanden außer dem Prinzen geben. Er hat dir das in seinen Visionen gezeigt, in den Opfern in Kutha …
»Der General hat sein Versprechen gegeben, bevor er gesalbt wurde«, sagte Edmund. »Und das ist ohne Frage einer der Gründe, warum er auserwählt wurde: seine Treue.«
Die Stimme in seinem Kopf schwieg, und urplötzlich war Edmund wieder der General. Er beobachtete sich selbst im Spiegel, bis die Tempeltüren zur Ruhe kamen. Cindy Smith? Aber wie konnte sie Ereshkigal sein? Wie konnte sie in dieser Welt und in jener anderen Welt zugleich sein?
Der General stellte sich die junge Schauspielerin als Lady Macbeth vor, sah sie in ihrem Geisterkostüm von unter der Bühne aufsteigen, um ihren Gatten in die Hölle zu holen. Der General spielte die Szene im Geiste immer wieder durch. Konnte er die Antwort die ganze Zeit direkt vor der Nase gehabt haben? Stand es in den Sternen geschrieben, dass er, der General, derjenige sein sollte, der den Eingang entwarf und baute, durch den er mit Ereshkigal in der Unterwelt eins wurde?
Etwas tief hinter den Tempeltüren auf seiner Brust sagte ihm, dass die Antwort Ja hieß. Eine Parallele zu seiner Tages-Existenz, ein Teil der Gleichung, alles miteinander verbunden – aber er würde darüber nachdenken müssen. Vieles über den Eingang verstand er immer noch nicht – in einem Ausmaß, dass der General, wenn der Prinz ihm Dinge in seinen Visionen enthüllte, nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Auch nicht, nachdem er den Prinzen zurate gezogen hatte.
Natürlich würde er ihn in dieser Angelegenheit nicht zurate ziehen. Und auch wenn der Prinz in seinem Kopf zum General sprach, konnte er die Gedanken des Generals nur lesen, wenn der General es wollte.
Nein, was diesen Teil der Gleichung anging, war der General auf sich allein gestellt.
Aber das war in Ordnung. Er hatte allein herausgefunden, wie er andere Teile der Gleichung austarieren musste. Also würde er es auch diesmal tun.
Früher oder später, meldete sich eine Stimme in seinem Kopf.
Der General lächelte. Er verstand das
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