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Opfermal

Opfermal

Titel: Opfermal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Funaro
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seiner Kontakte bekam. Dieser spezielle Kontakt, so erfuhr Annie, war ein Apotheker, der ihn mit den verschiedensten Dingen bezahlte – alles legal, alles korrekt, pflegte er Mrs. Lambert zu versichern. Annies Mutter servierte ihnen Abendessen, schüttelte den Kopf und sagte, die Männer würden sich noch umbringen mit diesen blöden Experimenten. Und nachdem Annies Mutter gestorben war, fiel es Annie zu, das Abendessen für alle zu kochen, nach welchem sich ihr Vater und Rally genau wie früher in den Keller zurückzogen.
    Tatsächlich brauchte Annie als Kind nicht lange, bis ihr klar wurde, dass die Besuche Rallys die einzige Gelegenheit waren, bei denen sie ihren Vater überhaupt je lachen hörte. Und als ihre Mutter noch lebte, hörte sie an den Abenden, an denen die Männer in den Keller gingen, ziemlich bald diese seltsame Musik – meist eine Frau, die auf Französisch sang –, und dann fingen ihr Vater und Rally zu lachen an und redeten auf eine Weise, die für sie wie Babysprache klang. Die beiden kamen meist gegen Mitternacht wieder aus dem Keller herauf, kichernd und mit roten Augen.
    Sie tranken » Moonshine « da unten – selbst gebrannten Alkohol. Das wusste Annie genau, weil ihre Mutter es ihr erzählt hatte – sie hatte sie sogar davor gewarnt, nach unten zu gehen, wenn Rally da war. Das war die Regel; das war »Männerzeit«, wie sie sagte. Aber Annie gehorchte nicht und schlich eines Tages in den Keller hinunter, als sie neun war, nachdem ihre Mutter und James vor dem Fernseher in der guten Stube eingeschlafen waren.
    Annie traf sie im Werkraum an, als sie gerade eine Flüssigkeit in seltsam geformte Gläser mit Löffeln darin gossen. Sie schwenkten die Gläser, ließen sie klirren und sagten etwas in ihrer Nonsens-Sprache zueinander. Sie waren zu diesem Zeitpunkt schon eine ganze Weile da unten gewesen, und der ganze Keller roch nach Lakritze, Zigarettenrauch und anderem Zeug, das das Mädchen nicht kannte. Das Licht im Werkraum war gelb, der alte Schwarz-Weiß-Fernseher in der Ecke zeigte nur Schneegriesel, und der Ton war aus. Die französische Frau sang, die Männer lachten, und als sie den Kopf wandten und Annie im Eingang stehen sahen, grinste Claude Lambert über das ganze Gesicht und sagte: » Va-t’en, fée verte, tu n’est pas invité.«
    Rally lachte sein tonloses Lachen, aber Annie blieb nur mit offenem Mund im Eingang stehen.
    »Ich sagte, verschwinde, grüne Fee«, wiederholte ihr Vater. »Wenn du noch einmal hier runterkommst, schneide ich dir den Kopf ab und benutze ihn als Blumenvase.«
    »Oui, oui, la fée verte!« , rief Rally, und die beiden Männer grölten vor Lachen.
    Annie dachte, dass ihre Augen wie Pingpongbälle aus Feuer aussahen und dass sie lächelten wie die Cheshirekatze aus Alice im Wunderland. Annie sauste zu Tode erschrocken aus dem Keller und merkte erst unter der Bettdecke in ihrem Zimmer, dass sie sich nass gemacht hatte.
    Von da an blieb Annie mit ihrer Mutter und James im Wohnzimmer, wenn Rally freitagabends auftauchte. Selbst James durfte nicht in den Keller, was ihm ganz recht zu sein schien. Ihr Bruder war zwar immer ein mürrischer Junge gewesen, der nicht viel zu sagen wusste, aber Annie merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass er sich genauso davor fürchtete, in den Keller zu gehen, wenn Rally da war, wie sie selbst.
    Rally setzte seine Besuche noch lange nach dem Tod von Annies Mutter fort, selbst nachdem Edmund zur Welt gekommen war, und fing an, auch samstagabends vorbeizukommen. Allerdings schien es im Keller immer ruhiger zu werden. Es gab zwar noch die gleichen Gerüche, die gleiche Musik und das Unsinnsgerede, aber es war irgendwie anders. Auch mit ihrem Vater war alles anders. Sie hatten nie viel miteinander gesprochen, aber wenn er jetzt von den Feldern kam oder aus dem Keller heraufstieg, sah er sie kaum noch an. Er fragte höchstens, ob das Abendessen fertig oder die Wäsche gewaschen war.
    Tatsächlich fand das längste Gespräch, das Annie je mit ihrem Vater führte, an dem Abend statt, an dem sie ihm erzählte, dass sie schwanger war. Und selbst da war es hauptsächlich Annie, die redete.
    Sie musste zugeben, dass sie teilweise selbst schuld daran war, dass man ihr ein Kind gemacht hatte, und fragte sich manchmal, ob sie es unbewusst nicht vielleicht getan hatte, um den Alten auf die Palme zu bringen. Sie mochte Danny Gibbs im Grunde nicht einmal. Sie war nur in seinem 69er Camaro mit ihm losgefahren, um Mike Higgins

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