Opferschrei
wegen des Sex’, der mit den Jahren nur noch besser und fantasievoller zu werden schien.
Während einer Nein-Phase in ihrer Beziehung, als Dalia ein Engagement an der Westküste hatte, war Claire in sein Leben getreten. Sie hatte ein Netz um ihn gesponnen, das ihn gefangen hielt und hypnotisierte und all seine Gedanken bestimmte.
Aber in letzter Zeit – nicht nur wegen seiner sich verschlechternden Beziehung mit Claire, sondern vielleicht auch wegen seiner Heirat, die Dalia zu einer verbotenen Frucht und umso begehrenswerter machte – dachte Jubal immer häufiger an Dalia. Selbst wenn er mit Claire schlief, dachte er an Dalia.
Dalia war auch die Frau, die er vor Augen hatte, als er die Rubin-Halskette in der Auslage des Souvenirshops entdeckte.
Dalia liebte Rubinen. Sie besaß mehrere Rubin-Ringe, ein Rubin-Armband und mindeste eine Rubin-Brosche, von der Jubal wusste. Er konnte sich aber nicht daran erinnern, je eine Rubin-Kette an ihr gesehen zu haben.
Diese hier bestand aus einem großen, in Silber eingefassten Stein, der an einer Silberkette hing. Sie erinnerte Jubal, der sich jetzt schon einsam fühlte, schmerzvoll an Dalia. Er wollte sie ihr unbedingt schenken.
Wie das meiste im Laden war die Kette völlig überteuert. Jubal starrte sie an und überlegte.
Jede Sucht ist teuer. Selbst Dalia.
Er wusste, wenn er die Kette jetzt nicht kaufte, würde er riskieren, dass sie bei seiner Rückkehr aus New York nicht mehr da war. Also beschloss er, sie zu kaufen und für eine Weile zu verstecken.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Stimme. Die matronenhafte, grauhaarige Frau hinter dem Ladentisch hatte ihn bei seinen Tagträumen beobachtet. »Kann ich helfen?«, fragte sie noch einmal.
Jubal glaubte nicht, dass sie das konnte. Nicht wirklich. Er musste selbst einen Weg finden, sich zu helfen.
»Diese Kette …« Er deutete darauf. »Die mit dem Rubin. Kann ich sie mir mal anschauen?«
Jede Sucht …
56
Der Ehemann war wieder da.
Der Night Prowler hatte die Wohnung verlassen, nachdem er Claire beim Schlafen zugesehen hatte. Er wusste, dass Jubal verreist war, aber bald schon zurückkommen würde. Chicago war nicht so weit von New York entfernt.
Aber er hatte ihn nicht heute Nacht erwartet. Nicht zu dieser Uhrzeit.
Knapp! Das war wirklich knapp! Und ich bin noch nicht bereit. Ich will noch nicht, dass es passiert.
Es war nach drei, als der Night Prowler Claire verlassen hatte. Er hatte sich sicher gefühlt, während er am Fußende ihres Betts gestanden hatte, in dem Wissen, dass er bis zum Morgen mit ihr allein wäre, wenn er sich entschließen würde zu bleiben. Auch wenn ich mich entschließen würde, sie aufzuwecken.
Noch nicht, noch nicht …
Also war er gegangen. Er war überrascht gewesen, als er die Straße überquert und zufällig Jubal erblickt hatte, der mit großen Schritten auf das Haus zugeeilt war.
Du solltest doch ganz woanders sein.
Doch hier war er. Der junge, attraktive Möchtegern-Star. Er bewegte sich selbstsicher und schien in Gedanken vertieft zu sein. Fast schwebte er die Straße hinunter, wie bei eine Parade, an der nur er teilnahm. Er trug einen gut sitzenden Anzug, die Krawatte hing ihm locker um den Hals, und seine Haare waren sorgfältig verstrubbelt, so als ob er erwarten würde, dass irgendwo Kameras sein könnten, die ein ehrliches, schmeichelhaftes Bild von ihm einfangen wollten. Allzeit bereit, lautete das Gebot. Als Übung für den großen Ruhm und das Geld, das mit ihm kommen würde.
Jubal Day. Heim zu Claire!
Er muss einen späten Flug genommen haben. Entweder, weil er günstiger gewesen war, oder weil er sonst keinen Platz bekommen hatte. Jubal trug keinen Koffer bei sich. Er reist mit leichtem Gepäck. Warum auch nicht? Ich habe deinen Schrank gesehen; du hast eine komplette Garderobe hier. Sie wartet auf dich. Genau wie Claire.
Genau wie ich.
»Danke für die Minzplätzchen«, sagte Claire. Sie war schon früh aufgestanden und hatte Jubal schlafen lassen. Als sie die Kaffeemaschine angeschaltet hatte und ins Wohnzimmer gegangen war, hatte sie die beiden grünen Schachteln mit Minzplätzchen auf dem Tisch entdeckt. Ihre Lieblingssorte. Jubal musste sie auf dem Heimweg für sie gekauft haben. Er war einfach so fürsorglich und liebevoll. Sie würde ihm nicht sagen, dass sie erst am Abend zuvor von ihren Gelüsten übermannt worden war und eine ganze Schachtel Plätzchen aufgefuttert hatte.
Barfuß und mit nacktem Oberkörper stand er da und schaute sie
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