Opferschrei
zukamen, dachte Quinn, dass Pearl sehr professionell aussah in ihrem grauen Blazer und der dunklen Hose. Über den Knöpfen des Blazers zeigte sich ihre Bluse als weißes V. Fedderman humpelte neben ihr her als habe er Schmerzen in den Füßen; im Vergleich zu Renz’ elegantem Outfit hing sein brauner Anzug wie ein Sack an ihm herunter. Einer seiner Hemdsärmel schaute unter dem Sakko hervor. Er war nicht zugeknöpft und flatterte im Rhythmus, wenn Feds die Arme schwang. Er sah aus wie eine beleibte Vogelscheuche, die einen Spaziergang machte.
»Der Verkehr«, meinte Pearl, die gefahren war. Sie sagte es als Erklärung, in ihrem Ton lag keine Entschuldigung. War sie überhaupt in der Lage, sich zu entschuldigen? Für irgendetwas? »Hast du lang gewartet?«
»Nein, und ich hatte Gesellschaft.« Quinn erzählte ihnen von seiner Unterhaltung mit Renz.
»Der Typ ist wirklich ein Arschloch«, sagte Pearl.
»Das sagt jeder.« Quinn wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn. Pearl musste es heiß sein in ihrem Blazer und Fedderman in seinem schäbigen Anzug. »Hatte Renz recht mit seiner Skepsis, was unsere Suche nach dem sprichwörtlichen Schlüssel zu dem Fall betrifft?«
»Er hatte recht«, sagte Pearl. »Mir war nicht bewusst, dass es so viele Läden um die Mordwohnungen herum gibt, die Schlüssel nachmachen. Die Schlüsseldienste kennen zwar die Rohlinge und die Marken für Wohnungsschlüssel, aber viele ihrer Kunden bezahlen bar. Sie werden nicht erfasst, und die Kreditkartenbelege haben auch nichts ergeben.«
»Renz hatte bis jetzt recht«, meinte Fedderman, als habe er Pearl nur mit halbem Ohr zugehört. Quinn konnte sehen, dass sich Schweißflecken unter seinen Armen auf seinem Sakko gebildet hatten. Oder waren das die Flecken von gestern? »Aber nur bis jetzt.«
Pearl und Quinn sahen ihn beide an.
»Nehmen wir mal an, der Mörder hat seine Schlüssel selbst nachgemacht. Du hast gesehen, dass manche Maschinen leicht genug sind, um sie zu transportieren, Pearl. Und man braucht kein besonderes Wissen oder Geschick, um sie zu bedienen. Drehen wir unsere Suche also einfach um.«
Pearl verstand nicht, was er meinte. Sie schaute fragend zu Quinn.
»Er meint, wir sollen mit den Handwerkern anfangen, die in den Mordwohnungen gearbeitet haben und ihre eigene Schlüsselfräse besitzen.«
»Das schränkt den Kreis erheblich ein«, sagte Fedderman.
»Und wie!« Pearl grinste und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Fedderman wurde rot und warf Quinn einen fast schon schuldbewussten Blick zu.
55
Jubal rollte sich von Dalia runter und seufzte. Er war immer noch ganz außer Atem. Dalia wollte es manchmal zweimal hintereinander – einmal oben, einmal unten. Er konnte sich noch nicht einmal vorstellen, dass Claire so etwas vorschlug – zumindest nicht, seit sie schwanger war.
Sie befanden sich im altehrwürdigen und fast schon heruntergekommen Tremontier-Hotel in Chicago, wo sie unter ihren bürgerlichen Namen – Dorothea Hartnagel und Arnold Wolfe – eingecheckt hatten. Es wäre nicht gut, wenn die anderen aus dem Ensemble von As Thy Love Thyself es spitzkriegen würden, dass sie eine Langzeit-Affäre hatten. Die Welt des Showgeschäfts war manchmal ein Dorf, und Jubal war mit einer Schauspielerin verheiratet.
Es war warm im Zimmer, und es roch nach Sex und dem Rosenparfum, das Dalia immer benutzte. Jubal liebte die Verbindung der beiden Düfte. Kurz ließ sie ihn zögern, sich eine Zigarette anzustecken, doch dann langte er hinüber zum Nachttisch und angelte vorsichtig seine Camels und ein Streichholzbriefchen des Hotels hinter Dalias umgefallenem Champagnerglas hervor. Er zündete sich eine Zigarette an, dann ließ er seinen Kopf zurück auf das feuchte Kissen fallen, nahm einen tiefen Zug und stieß langsam den Rauch aus.
»Gott, ist das gut!«
Dalia sah ihn an und grinste. »Der Sex oder die Zigarette?«
»Beides.«
»Weiß deine Frau, dass du wieder rauchst?«
»Irgendwie scheint mir das nicht die logische Frage zu sein.«
»Da hast du wohl recht.«
»Es gibt einiges, was Claire nicht über mich weiß.«
»Ja, ich wette, du Ärmster wirst immer missverstanden.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Und ob.« Dalia rollte sich auf ihren Bauch und tastete auf dem Boden nach der Flasche Dom Pérignon. Als sie sie gefunden hatte, stellte sie ihr Glas wieder hin und schenkte sich den kleinen Rest ein, der noch in der Flasche war. Sie setzte sich nackt im Schneidersitz aufs Bett und
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