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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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verwirrt an. »Minzplätzchen?«
    Sie grinste. Er war Schauspieler, okay. Wenn er mit ihr spielen wollte, sollte er ruhig. Sie ging zu ihm hinüber und schmiegte sich an ihn. »Schon gut. Willst du Kaffee?«
    »Ich kann mir nichts vorstellen, was ich jetzt lieber hätte.«
    »Ich sollte beleidigt sein.«
    »Bitte nicht. Ich wollte nicht …«
    Sie lachte. »Du bist ja noch ganz verschlafen. Wann bist du angekommen?«
    »So um drei.«
    Claire warf einen Blick auf die Wanduhr. »Es ist noch nicht einmal neun. Geh wieder ins Bett, Schatz, und trink deinen Kaffee später.«
    »Ich kann nicht. Ich hab ein Vorsprechen um zehn. Deshalb hab ich den Wecker gestellt.«
    »Ich hab ihn gar nicht gehört.«
    »Meine Uhr.«
    »Ich habe gar nicht gewusst, dass deine Uhr eine Weckfunktion hat.«
    Jubals Herz machte einen Sprung. Es war die Uhr, die Dalia ihm geschenkt hatte. Er hatte vergessen, sie gegen seine alte auszutauschen, als er Chicago verlassen hatte.
    Er ging zu Claire und küsste sie. »Heutzutage hat doch jede Uhr eine Weckfunktion.« Er ging in die Küche, und sie folgte ihm.
    »Technik«, meinte sie. »Ich schaffe es einfach nicht, Schritt zu halten.«
    »Ich brauche dringend Kaffee«, sagte er. »Und mach dir mal keine Sorgen. So schnell, wie sich die Dinge heute ändern, kann man gar nicht immer Schritt halten.«
    Er schenkte sich Kaffee ein, sorgfältig darauf bedacht, seine Uhr nicht zu zeigen, dabei aber ganz natürlich zu wirken. Er spürte, dass sie keinen Verdacht geschöpft hatte.
    Wie schafft es jemand, der kein Schauspieler ist, seine Frau zu betrügen?
    Das verdammte Foto war immer noch überall und riss alte Wunden auf. Der Night Prowler hatte sämtliche Nachrichten in der Zeitung oder im Fernsehen vermieden – in der Hoffnung, der Medienhype würde sich bald legen oder zumindest schwächer werden. Schließlich gab es ja noch andere Nachrichten.
    Doch als er gestern den Fernseher eingeschaltet hatte, war da ein Cop im Anzug, der mit Kay Kemper über die Night-Prowler-Morde redete – darüber, dass die Polizei ihm immer näher auf die Pelle rückte und es nicht mehr lange dauern würde, bis sie ihn hatten. Und heute Morgen auf der Straße hatte er wieder das Foto gesehen, das ihn von den zusammengeschnürten Stapeln von Boulevardzeitungen, die vor einem Kiosk aufgereiht waren, anstarrte.
    Es war die Schuld von Quinn, diesem Bastard. Er steckte hinter dem Foto, den erniedrigenden, demütigenden Pressemitteilungen, dem zunehmenden Druck, einfach hinter allem. Quinn. Er war wie etwas aus einer Legende, das niemals aufhörte, das man nicht stoppen konnte. Es machte den Night Prowler rasend, dass er nicht aufhören konnte, Quinn zu bewundern, obwohl er ihn gleichzeitig hasste.
    Quinn!
    Der Night Prowler sprang – einem Impuls folgend – von seinem Stuhl auf.
    Nein, kein Impuls, ein Gedanke! Eine Idee. Eine Strategie.
    Er setzte seine neue NYPD -Kappe auf, die er an einem Souvenirstand am Times Square gekauft hatte ( ein vor Ironie triefendes Blau ), und seine Sonnenbrille mit den gelbgetönten Gläsern. Dann ging er hinunter auf die Straße und zur U-Bahn-Station. Nicht zu der Station bei seiner Wohnung; so blöd war er nicht.
    Die morgendliche Rushhour war fast schon vorüber, aber es standen immer noch fünfundzwanzig oder dreißig Leute am Gleis und warteten auf die nächste Bahn. Niemand schien ihm große Aufmerksamkeit zu schenken. Die meisten starrten in Erwartung der Bahn in den dunklen Tunnel, auf den schmutzigen Betonboden oder in die dämmrige Grube, wo das dritte Gleis verlief und graue Ratten hausten. Fear and the City. Er war dankbar für die U-Bahn-Etikette.
    Nachdem er mit der U-Bahn bis zur Haltestelle Lexington Avenue / Fifty-Third Street gefahren war, weit genug weg von seiner Wohnung, ging er zu einem Münztelefon in der Nähe des Citigroup-Gebäudes. Er kannte die Nummer. Er hatte sie auswendig gelernt. Weil er nicht erst heute Morgen darüber nachgedacht hatte, sondern schon seit einigen Tagen. Er hatte sich überlegt, was er sagen sollte, wie er es sagen sollte, um wirklich ernst genommen zu werden.
    Falls sie ihn nicht in die Warteschleife schoben und vergaßen.
    Auch ich kann mit den New Yorker Medien tanzen. Auch ich kann sie benutzen, die fanatischen, scheinheiligen Kreaturen, die sich die Bäuche vollschlagen mit der Not der Leute, bevor sie alles wieder lächelnd auskotzen und es Nachrichten nennen. Auch ich kann den Rhythmus fühlen und den tödlichen Tanz der Zerstörung

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