Opferschrei
nippte testweise an ihrem Glas.
»Abgestanden?«, fragte Jubal.
»Ja, aber bei mir ist inzwischen auch die Luft raus, so wie du auf mir rumgehüpft bist.« Mit einem Schluck leerte sie das Glas und stellte es zurück auf den Nachttisch. »Weiß Claire von deinem Sitcom-Angebot?«
»Noch nicht.« Der Produzent des Pilotfilms für eine neue Sitcom – West Side Buddies –, die vom Leben einiger frauenbesessener Freunde und Nachbarn in New York handelte, hatte Jubals Agenten angerufen und gemeint, er wäre vielleicht der Richtige für die Rolle des baseballspielenden Single Eric. Es war noch nichts sicher, aber Jubals Agent hatte gehört, dass Jubal wirklich gute Chancen auf die Rolle hätte.
»Dann gehst du also zurück nach New York und sprichst vor?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Sei kein Idiot. Du willst die Rolle doch, oder?«
»Ja. Es sind wirklich Top-Leute dabei. Aber dann muss ich nach New York, und du bist hier.«
»Und ich werde immer noch hier sein, wenn du zurückkommst. Geh! Astin kann ein paar Tage für dich einspringen. Du lässt uns ja nicht komplett im Stich, jeder wird Verständnis haben.« Astin Jones war Jubals Zweitbesetzung und jung, gut aussehend und ziemlich berechnend. Es gab Leute im Ensemble, die dachten, er wäre die bessere Besetzung für Jubals Rolle. »Himmel, jeder wird dich um die Chance beneiden. Wenn sie von dem Angebot wüssten, würden sie dich alle drängen zu gehen.«
Vor allem Astin.
»Hast du Angst, dass dir jemand deinen Platz wegnimmt, solange du weg bist?«
Jubal wusste, was sie meinte, aber stellte sich dumm. »Wir treffen uns jetzt schon sehr lange, und bisher hat mir keiner meinen Platz streitig gemacht.«
Dalia beließ es dabei und sagte nichts mehr dazu. Sie tat so, als würde sie überprüfen, ob man der leeren Champagnerflasche noch einen Tropfen abringen konnte.
Jubal zog noch einmal an seiner Zigarette, dann drehte er sich zur Seite und drückte sie in dem Aschenbecher neben der Nachtischlampe aus. Jetzt dominierte der Tabakgeruch den Raum.
»Vielleicht gehe ich«, sagte er.
Dalia ließ sich zur Seite fallen. Dann robbte sie sich über die Matratze, schob einen Arm unter seinen Nacken und küsste ihn auf den Mund.
»Vielleicht belohne ich dich dafür«, sagte sie und lächelte auf ihn herab.
Am Flughafen checkte Jubal ein und passierte die Sicherheitskontrolle schneller als gedacht. Vor seinem Flug nach Chicago hatte er am LaGuardia in New York seine Schuhe ausziehen müssen, aber was immer den Alarm dort ausgelöst hatte, erregte hier anscheinend keinen Verdacht. Er ging in den Souvenirladen und schlenderte darin herum, um sich die Zeit zu vertreiben.
Er war nicht besonders scharf darauf, Claire zu sehen.
Er würde Dalia vermissen.
Claire befand sich in einer anderen Stadt, und er hatte sie in seinem Kopf beiseitegeschoben; jetzt fiel es ihm schwer, sich wieder auf sie einzustellen. Er war immer noch in Dalia-Stimmung.
Jubal wusste, dass er Claire nur etwas vormachte. Gut, nicht von Anfang an. Zuerst war er natürlich geschockt gewesen, als sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger war, aber er hatte sich auch gefreut. Dann kam die Hochzeit, und allmählich holte ihn die Realität ein. Die Ehe, ein Kind, das von Minute zu Minute realer wurde, echte Verpflichtungen, ein gemeinsames Konto, alles gemeinsam – es schnürte ihm die Luft ab. Nichts davon war mit Jubals Plänen vereinbar.
Zuerst hatte er sich gesagt, dass man im Leben eben irgendwann Zugeständnisse machen musste, dass er endlich erwachsen werden sollte. Doch er war nicht sonderlich gut darin, sich selbst davon zu überzeugen. Er hatte Sehnsüchte, Bedürfnisse. Große Bedürfnisse. Aber nicht nach dem, was er bereits hatte. Selbst er hatte nicht gewusst, wie egoistisch er sein konnte, wenn es um seine Zukunft, seine Karriere ging.
Nicht, dass er das Gefühl hatte, er müsse sich für seinen Egoismus entschuldigen. Er hatte auch kein schlechtes Gewissen. Claire und er waren im Showgeschäft, und sie kannten beide die Opfer, die gebracht werden mussten. Die Schauspielerei war wie ein religiöser Kult: esoterisch, fordernd und erbarmungslos, wenn jemand es wagte, ihn zu verraten. Er hatte seine Religion behalten, aber Claire war dabei, ihre zu verlieren.
Deshalb hatte er wieder angefangen, sich mit Dalia zu treffen. Dalia war ein Teil von ihm geworden – schon lange, bevor er Claire kennengelernt hatte. Ihre Mal-ja-mal-nein-Affäre dauerte jetzt schon sieben Jahre an, hauptsächlich
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