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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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manchmal ganz schön mit ihr durchgehen, und dann führt eins zum andern. Das ist Normalzustand zurzeit.«
    Es war nicht Normalzustand, und Jubal wusste es. Vielleicht war es die Halskette, die Claire so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Vielleicht hatte sie seine Lüge nicht ganz geglaubt, und er mochte es nicht, dass sich die Polizei einmischte. Er wusste, wie er mit ihr umzugehen hatte. Sie brauchte Bestätigung. Er sollte seine Geschichte untermauern und sie vielleicht – bald – mit einem passenden Ring oder Armband überraschen.
    Dalia gab sich mit seiner Erklärung zufrieden. Sie riss ihren Mund weit auf, drehte ihren Kopf zur Seite, sodass sie Jubal an einen Hai erinnerte, der kurz davor war, seine Zähne in seiner Beute zu versenken, und griff ihr Clubsandwich an. Jubal fand, dass sie etwas wunderbar Animalisches an sich hatte.
    In der nächsten Nacht, in der sie Claire Briggs’ Haus überwachten, hatte sich Quinn im Vorraum eines Wohnhauses auf der anderen Straßenseite postiert, von wo aus er einen guten Blick auf den Eingang hatte. Sie gingen davon aus, dass der Night Prowler nicht bemerkt hatte, dass Pearl in der Nacht zuvor seine Verfolgung aufgenommen hatte. Und wenn er den Wagen gesehen hatte, dann hatte er, nach seiner Kenntnis, ganz unschuldig am Straßenrand geparkt oder beschleunigt, nachdem er um eine Ecke gebogen war.
    Fedderman befand sich in einer Abstellkammer in Claires Haus, deren Tür einen Spaltbreit offen stand, damit er die Lobby überblicken konnte. Er hatte einen harten Holzstuhl, der ihn davon abhalten würde, einzuschlafen, und eine Thermoskanne mit starkem Kaffee. Während seiner Jahre als Cop hatte er an vielen Observierungen teilgenommen, und er wusste, wie er einen halbwachen Zustand erreichen konnte, der ihm erlaubte, einen Bereich erfolgreich für mehrere Stunden zu überwachen, ohne sich zu bewegen oder etwas zu verpassen. Wenn er in Rente ging, dachte er, konnte er sich vielleicht irgendwo als menschliche Überwachungskamera ein Zubrot verdienen.
    Pearl saß im Auto einen halben Block weiter die Straße hinunter, ungefähr dort, wo sie auch in der Nacht zuvor geparkt hatte. Sie benutzte ein Fernglas, um die Fenster von Claires Wohnung im Blick zu behalten. Es war wärmer als in der Nacht zuvor, es regte sich kaum ein Lüftchen, und sie fühlte sich selbst bei offenen Fenstern unwohl. Sie wusste, dass sie den Motor nicht starten und die Klimaanlage laufen lassen konnte. Das Motorengeräusch und die Abgase könnten sie verraten. Auch sie hatte eine Thermoskanne mit Kaffee und eine Urinflasche für Frauen. Sie hatte kurz darüber nachgedacht, Fedderman davon zu erzählen, dann aber entschieden, dass es den Kummer nicht wert war.
    Zwei Undercover-Cops waren in der Nähe, einer in einer geschlossenen Reinigung, ein anderer, als Obdachloser verkleidet, in einem Hauseingang. In Claires Wohnzimmer saß ein zäher, zuverlässiger Cop namens Ryan Campbell und las im Licht einer Leselampe, die er an sein Buch geklemmt hatte. Quinn kannte ihn noch von früher, als Campbell zwei Kugeln in den Arm bekommen hatte und trotzdem einen Ganoven, der gerade einen Barkeeper erschossen hatte, zu Boden gerungen hatte. Campbell hatte den Mann mit seinem unversehrten Arm so lange im eisernen Griff gehalten, bis Hilfe gekommen war.
    Claire hatte sich einige Male an einem der Fenster gezeigt, sodass klar war, dass sie zu Hause war. Zu Hause und verletzlich. Sie verhielt sich ziemlich tapfer. Oder spielte zumindest tapfer.
    Quinn überprüfte mit seinem Funkgerät, ob jeder auf seiner Position war. Dann setzte er sich und rauchte eine Zigarre, wobei er das brennende Ende mit seiner Hand abschirmte, damit die Glut nicht zu sehen war.
    Observierungsmodus. Ein Teil der Polizeiarbeit, den er nicht vermisst hatte. Warten, warten, warten … und fast immer passierte nichts bis zur nächsten Nacht, oder der nächsten, oder der nächsten.
    Und dann konnte plötzlich alles passieren.

65
    Manchmal saß Quinn, manchmal stand er, um nicht einzuschlafen.
    Doch selbst wenn er stand und sich in dem dunklen Vorraum an die Wand lehnte, lief er Gefahr, einzudösen.
    Er sah für einen Moment weg und verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Er bemerkte nicht, wie eine dunkel gekleidete Gestalt sich aus dem Schatten eines Vordachs löste und Claires Wohnhaus betrat.
    Pearl sah den Mann. Sie rieb sich die Augen, um sich zu überzeugen, dass sie wach war und ihn sich nicht eingebildet hatte. Er war

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