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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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prüfenden Blick in die Küche, ins Bad … nur für den Fall, dass die beiden Frauen bei ihrem Rundgang etwas übersehen hatten. Natürlich würde er das vor Pearl nicht zugeben, aus Angst, dass sie sauer werden und sich aufführen könnte wie … wie Pearl eben. »Ihr Mann hat die Stadt heute Nacht verlassen?«
    »Ja. Er hat den Nachtflug nach Chicago genommen. Ein Notfall. Zumindest kann man es Notfall nennen, wenn man Schauspieler ist. Seine Zweitbesetzung ist krank geworden, und Jubal musste für ihn einspringen.« Claire erkannte, wie ironisch das klang, und schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Ich verstehe«, sagte Quinn. »The show must go on«, fügte er überflüssigerweise hinzu, woraufhin Pearl ihn stirnrunzelnd anblickte. Alles, um die arme Claire zu beruhigen.
    »Wollen Sie vielleicht einen Kaffee, jetzt, wo wir eh schon alle wach sind?«, fragte sie.
    Pearl war überrascht, dass Quinn zustimmte.
    Als Claire in der Küche verschwunden war, um Kaffee aufzusetzen, sagte er zu Pearl: »Der Night Prowler hat vielleicht nicht gewusst, dass ihr Mann nicht zu Hause ist. Vielleicht ist er hierhergekommen und war wie üblich darauf vorbereitet, sie, falls nötig, zu töten, und hat dann festgestellt, dass Claire allein im Bett lag.«
    »Du glaubst, das hätte ihn davon abgehalten? Dass ihm ein Opfer fehlte?«
    »Bisher hat er immer Paare getötet. Es scheinen glückliche Paare zu sein, auf die er es abgesehen hat.«
    »Also kommt er vielleicht zurück, wenn er merkt, dass ihr Mann wieder da ist.«
    Quinn lächelte. »Du bist mir voraus, Pearl.«
    Merk dir das.
    Er drehte sich um und ging zum Kinderzimmer.
    »Großartig«, meinte er, während er sich umschaute.
    »Im Dunkeln erscheinen Sterne an der Decke.«
    »Wirklich?« Er probierte es nicht aus. »Wenn ich als Kind so ein Zimmer gehabt hätte, wäre ich heute vielleicht Präsident.«
    »Auf jeden Fall glücklicher als jetzt, egal was aus dir geworden wäre.«
    Claire war zurückgekommen und hatte sie gehört. »Sehen Sie«, meinte sie und schaltete das Licht aus und ein, um zu zeigen, wie die Sterne an der Decke aufgingen.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen. Ihr Kind wird wahrscheinlich einmal Astronom …«
    Er verstummte, als er hörte, wie Claire nach Luft schnappte. Sie war plötzlich ganz blass geworden. »Da! Der Teddybär! Der war vorher nicht da! Der braun-weiße Bär!«
    »Sind Sie sicher?«, fragte Pearl. Sie konnte sich nicht gegen den Gedanken wehren, dass Claire sich ein wenig anhörte wie Dr. Seuss.
    »Ganz sicher. Die Stofftiere habe ich alle selbst gekauft. Vier Stück. Jetzt sind es fünf.« Sie ging näher an das Sofa heran, damit klar war, auf welchen Bär sie zeigte – ein kleiner, braun-weißer Bär mit einem breiten Lächeln. Er war zwischen einen Plüschhund und einen flauschigen Alligator gequetscht und trug eine gestreifte Baseballkluft und eine Yankee-Kappe. »Er war vorher noch nicht da!«
    »Wir glauben Ihnen«, sagte Quinn zu ihr. Abwesend legte er ihr seine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft zur Bestätigung.
    Dann ging er zu dem Bären und nahm ihn hoch. Er fragte sich, ob an der Pfote, die er nicht sehen konnte, weil sie von dem Stofftier daneben verdeckt war, der Handschuh eines Fielders oder eines Catchers steckte.
    Keins von beidem.
    Der Bär hielt eine gelbe Rose in der Pfote.

63
    Der Night Prowler fuhr mit dem Aufzug nach oben zu seiner Wohnung. Mit der Spitze eines Fingers berührte er die harte Stahlfläche des Messers, das er mit Klebeband unter dem Hemd an seiner Brust befestigt hatte. Er bewegte sich nicht, spürte aber die Bewegung des Aufzugs, während er durch das dunkle Innere des Gebäudes nach oben schwebte.
    Er war bereit für das Unerwartete gewesen, hatte das Unerwartete erwartet. Aber Claire hatte allein in dem großen Bett geschlafen.
    Wo war ihr Mann?
    Irgendwo unterwegs, vielleicht in einer anderen Stadt, einer anderen Welt. Er war Schauspieler und musste vielleicht eine Szene für einen Film oder einen Werbespot nochmal drehen, oder er war bei einer Drehbuch-Sitzung. Eine Geschäftsreise. Aber er würde dahin zurückkehren – Bin wieder da, Schatz! –, wo seine Reise begonnen hatte und wo sie enden würde.
    Man konnte nicht für alles gewappnet sein, deshalb war die Nacht wie jede andere verlaufen.
    Solange Claire alleine schlief, war es noch nicht an der Zeit zu handeln. Sie und ihr Mann würden das verstehen. Sie waren Schauspieler und wussten, dass das gesamte Ensemble an seinem Platz

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