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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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herabhing. Das alles hatte einen geordneten, beruhigenden Effekt, der sehr professionell schien, was Dr. Maxwell sehr wichtig war. Die Psychoanalyse funktionierte am besten in einer Umgebung, die Vertrauen weckte.
    Rita war nun seit sechs Jahren in ihrer Praxis in der Park Avenue, nachdem sie zehn Jahre in Brooklyn praktiziert hatte. Sie hatte sich einen guten Ruf erarbeitet und war sich sicher, vielen ihrer Patienten wirklich geholfen zu haben. Ihr Honorar war auf dreihundert Dollar pro Stunde gestiegen, wobei eine »Stunde« fünfundvierzig Minuten in ihrem Sprechzimmer bedeutete. Ihre Patienten zahlten es gerne, denn fast jeder in Manhattan, der sich einer Analyse unterziehen wollte, hörte von Dr. Rita Maxwell, wenn er sich nach Empfehlungen umhörte. Ihr Geschäft hing von Mund-zu-Mund-Propaganda ab, und die funktionierte in ihrem Fall ausgezeichnet. Sie wusste auch, warum: Sie erzielte Ergebnisse.
    War sie arrogant? Sie glaubte nicht. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn des Wortes. Sie war groß, eher gut aussehenden als hübsch, hatte kurzgeschnittenes blondes Haar und wissende grüne Augen. Mit ihren fünfundvierzig Jahren joggte sie viel und ab und zu lief sie sogar einen Marathon. Sie war fit und stark und wirkte in jeglicher Hinsicht gesund. Ihre breitschultrige, fast maskuline Figur war für elegant geschnittene Kleider wie geschaffen. Sie war erfolgreich, wohlhabend genug und so schön, wie sie es sein wollte. Rita fand, dass sie jedes Recht darauf hatte, mit ihrem Privatleben zufrieden zu sein, aber nur das – zufrieden.
    Professionelle Arroganz, das war etwas anderes. Diese Art von Arroganz besaß sie tatsächlich und kultivierte sie sogar. Und das zahlte sich aus. Sie gab ihren Patienten das beruhigende Gefühl, dass sie in der Lage war, ihre wie auch immer gearteten Probleme aufzudecken und zu lösen. Es schien, als könnte die sturmgepeitschte See über ihrer Ruhe und Vernunft zusammenschlagen, ohne ihnen auch nur im Geringsten etwas anhaben zu können.
    Rita enttäuschte sie nur selten.
    Und diesen Patienten würde sie ganz sicher nicht enttäuschen, dachte sie, während sie David Blanks Akte auf ihrem Schreibtisch durchblätterte.
    Natürlich war David Blank nicht sein richtiger Name.
    Die Frage war, wer war er wirklich? Und warum benutzte er eine falsche Identität?
    Die Antworten auf dem Fragebogen, den Blank bei seinem ersten Besuch ausgefüllt hatte, waren entweder sehr vage oder nicht überprüfbar. Seine Adresse war offenkundig falsch, und er bezahlte bei ihrer Sprechstundenhilfe, Hannah, immer per Scheck. Rita hatte ihn nie auf seine Täuschungsversuche angesprochen. Blanks fehlendes Vertrauen in ihre Diskretion reizte sie. Was war seine Geschichte?
    Sicherlich hatten viele ihrer Patienten gute Gründe, einen falschen Namen anzugeben oder ihre beschämenden Probleme als die eines »Freundes« zu verkaufen. Doch diese Gründe schienen in Blanks Fall nicht zuzutreffen. Vielmehr war Rita davon überzeugt, dass sie zu dem wahren Grund, der ihn zu ihr geführt hatte, noch nicht vorgedrungen war.
    Sie hatte ein paar Spekulationen angestellt. Er war penibel, vielleicht zwanghaft, und offensichtlich sehr verschwiegen. Er hatte sich sogar geweigert, sein Alter anzugeben, und er besaß eines dieser Gesichter, die es schwermachten, das Alter zu schätzen. Irgendetwas zwischen dreißig und fünfzig, vermutete sie. Er hatte eine vorzeitig ergraute Strähne, aber diese gehörte eindeutig zu einer Perücke. Er hatte offensichtlich studiert – oder zumindest viel gelesen –, und benahm sich ihr gegenüber wie ein Geschäftsmann.
    Und er war schlau; dessen war sie sich sicher.
    Doch wenn er glaubte, er wäre schlauer als Rita Maxwell und könnte seine Spielchen mit ihr treiben, musste sie ihn enttäuschen. Schon jetzt war sie sich sicher, dass sie bald zu seinem Kernproblem vordringen würde, zu dem wahren Grund, aus dem er zu ihr kam, über den er aber noch nicht sprechen konnte. Sie brauchte einfach ein wenig mehr Material, mit dem sie arbeiten konnte, das sie als sanften Hebel benutzen konnte, um zur Wahrheit vorzudringen. David Blank bestand aus vielen, vielen Schichten, davon war sie überzeugt. Und sie sah es als ihre Herausforderung, zu ergründen, was unter diesen Schichten verborgen lag.
    Hannah war in der Mittagspause, deshalb war es Rita, die Blank zehn Minuten später dir Tür öffnete. Wie immer war er pünktlich auf die Minute.
    Heute trug er ein hellbraunes Sakko, eine dunkelbraune Hose

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