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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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wollten über die liebestolle Sachbearbeiterin sprechen.«
    »Das war ein Jahr davor. Man kann seinen Bauch mit Wasser füllen, aber es ist nicht wie Essen.«
    »Das denke ich mir.«
    »Oh, sicher.«
    »Was, sicher?«
    »Die liebestolle Sachbearbeiterin.«
    Ein paar Sekunden lang hatte er die Kontrolle über die Sitzung, und jetzt gibt er sie mir zurück.
    Was im Grunde bedeutet, dass er es ist, der tatsächlich das Sagen hat.
    Er erzählte ihr von seiner Beziehung zu der Sachbearbeiterin. Von Schäferstündchen in der Scheune, im Auto der Frau, im Farmhaus, wenn sonst niemand da war. Die Sachbearbeiterin mochte Sadomasochismus und Gewalt und zwang den jungen David Blank zu allen möglichen perversen Sachen. »Sie mochte alles, was mit anormalem Sex zu tun hatte«, meinte er bitter.
    »Ich weiß nicht, ob es so etwas wie anormalen Sex überhaupt gibt«, sagte Rita. »Das Spektrum menschlichen Verhaltens ist weit gefächert.« Er setzte sich ein wenig auf und blickte sie scharf an. »Wahrscheinlich haben Sie recht, aber das, was sie tat, lag wirklich außerhalb des Spektrums.«
    Er fuhr fort, ihr minutiös zu berichten, was er und die Frau vor all den Jahren in dem stillen Farmhaus oder der heißen, summenden Scheune getan hatten, die nach Heu und Mist roch. Er hatte wirklich eine rege Fantasie.
    Rita ließ ihn reden, hörte aber kaum hin. Das Diktiergerät hielt alles fest, um später darüber nachzudenken. Es waren eh nur Lügen, da war sich Rita sicher. Eine Tarnung für … etwas. Und irgendwann würde sie es herausfinden.
    Für den Rest der Sitzung blieb er bei dem Thema, spielte sein Spiel mit ihr, plapperte weiter für dreihundert Dollar in der Stunde.
    Lässt mich Geld verdienen.
    Sie lächelte leicht. Er konnte nicht für immer um den heißen Brei herumreden. Sie war geduldig und schlau. Sie konnte ihn bei seinem geschickten Täuschungsspiel problemlos schlagen.
    Doch eine Sache ließ ihr keine Ruhe: Sie war sich sicher, dass er wusste, dass sie wusste, dass er log, doch das schien ihm egal zu sein. Das machte es schwieriger für sie herauszufinden, warum er zur Psychoanalyse kam. Wenn er einfach nur ein Spiel mit ihr trieb, von dem selbst er wusste, dass es zu offensichtlich war, warum vergeudete er seine und ihre Zeit damit?
    Rita wusste, das David Blank, wer immer er auch in Wirklichkeit war, nicht zu den Leuten gehörten, die einfach so ihre Zeit vergeudeten.
    Zwischen ihren Sitzungen oder in den frühen Morgenstunden, wenn sie nicht mehr schlafen konnte, ertappte sie sich manchmal dabei, wie sie über ihren geheimnisvollen Patienten nachgrübelte und versuchte, das Rätsel zu lösen, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen. Manchmal schien es so, als wäre er der Analytiker und sie die Patientin, aber die Gründe dafür lagen außerhalb ihres Verständnisses.
    Doch Ritas Selbstvertrauen war unerschütterlich.
    Früher oder später würde sie dem wahren David Blank begegnen.
    Und den Grund erfahren, aus dem er zu ihr kam.
    Mary Navarre und Donald Baines hatten sich Hail to the Chef am Broadway angesehen und danach einen späten Imbiss in einem Restaurant auf der West Forty-Forth Street eingenommen. Sie waren immer noch gut gelaunt von dem Hit-Musical, als Donald die Wohnungstür aufschloss, nach innen griff und das Licht einschaltete. Dann trat er beiseite, um Mary als Erste hineinzulassen.
    Es bereitete ihr immer noch große Freude, die neu eingerichtete Wohnung zu betreten, die teuren, aber schlichten Ledermöbel zu sehen, die Bilder an den Wänden, die Lamellen-Jalousien im Retrostil an den Fenstern. Sie hielt jedes Mal an der Tür inne und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, bevor sie ganz eintrat.
    Doch dieses Mal wanderte ihr Blick nicht umher, sondern fiel sofort auf die weiße Schachtel auf dem Sofakissen. Sie hatte die Schachtel noch nie zuvor gesehen. Und sie war sich ziemlich sicher, dass sie noch nicht da gewesen war, als sie die Wohnung verlassen hatten, um ins Theater zu gehen.
    Donald musste das irgendwie veranlasst haben; das war die einzige Erklärung.
    Sie ging zu der großen, rechteckigen Schachtel. Ihr Deckel war ein wenig verrutscht und ein Zipfel weißes Seidenpapier lugte hervor, so als ob er die Luft testen wollte.
    »Was zum Teufel ist das?«, hörte sie Donald hinter sich sagen.
    Spielte er ihr etwas vor? Heute war weder ihr Geburtstag noch ihr Jahrestag. Ihr fiel kein Grund ein, aus dem ihr Mann ihr ein Geschenk machen sollte, außer einem spontanen Gefühlsausbruch,

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