Opferschrei
und ein hellblaues Hemd, das am Kragen offen stand. Am Mittelfinger seiner linken Hand steckte ein Diamantring, der vermutlich teuer gewesen war. Seine Uhr war aus Gold, sah antik aus und war von einer Marke, die Rita nicht kannte. Sie hatte nicht die geringste Chance, eine realistische Einschätzung darüber abzugeben, wie wohlhabend er war, aber er musste zumindest gut abgesichert sein, sonst könnte er es sich nicht leisten, zu ihr zu kommen.
Er schenkte ihr ein warmes Lächeln und nickte ihr zu. »Wie geht es Ihnen, Dr. Maxwell?«
»Gut, David. Sollen wir anfangen?«
Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Die Uhr läuft, Doktor.«
Er machte es sich auf dem Lehnsessel aus Leder bequem, während sie hinter ihrem Schreibtisch hervorkam und ihren gewohnten Platz in einem Ohrensessel einnahm. Obwohl es im Sprechzimmer eine bequeme Couch gab, weigerte er sich, sie zu benutzen. Er sagte, er wolle sich nicht wie der typische Patient fühlen, der sich neben seinen Seelenklempner legte. Also setzte er sich in den verstellbaren Lehnsessel und brachte das Rückenteil in eine halbliegende Position.
»Wo waren wir stehengeblieben«, fragte er, »als uns die Uhr so unsanft unterbrochen hat?«
»Montana«, sagte Rita. Sie schaltete ihr Diktiergerät ein. Sie nahm alle ihre Sitzungen auf, mit dem Wissen und der Zustimmung ihrer Patienten. Es war einfacher und effektiver als Notizen zu machen.
Sie nannte alle relevanten Informationen, Datum und Uhrzeit, damit sie das Band später katalogisieren konnte, und fing dann mit der Sitzung an.
»Ah, Montana …«, sagte Blank.
Rita wartete, aber er fuhr nicht fort. »Am Ende unserer letzten Sitzung«, erinnerte sie ihn, »waren sie zwölf und wurden von der Frau des Farmers, der Ihnen beibringen sollte, wie man Rinder hütet, sexuell missbraucht.«
»Das Jugendamt hat mich dort weggeholt«, sagte Blank, »nur um mich einen Monat später in einer Pflegefamilie unterzubringen, in der die Pflegeeltern der Ansicht waren, dass jede Verletzung ihrer Regeln hart bestraft werden müsste.«
»Wie sah die Bestrafung aus?«, fragte Rita pflichtschuldig. Sie hatte einen Notizblock und einen Stift in der Hand, um die Aufnahmen zu ergänzen. Es schien die Patienten zu beruhigen, wenn sie sich Notizen machte. Zudem gab es ihr etwas zu tun und erlaubte eine gewisse Distanz, die ihre Patienten weiterreden ließ.
»Sie verweigerten uns feste Nahrung.«
»Uns?«
»Es gab außer mir drei andere Pflegekinder.«
»Wo war das, David? Das haben Sie nicht erwähnt.«
»Auf einer Farm in Illinois.«
»Was haben sie dort angepflanzt?«
»Mais, Sojabohnen, Alfalfa.«
Rita malte ein paar weitere bedeutungslose Kringel auf ihren Notizblock.
»Einmal verweigerten sie mir drei Tage lang feste Nahrung, nur weil ich die Schule geschwänzt hatte.« Blank klang zu Recht empört.
»Hatten Sie keine Möglichkeit, sich bei Ihrer zuständigen Sachbearbeiterin zu beschweren?«
»Ha! Meine sogenannte Individualfürsorgerin war mehr daran interessiert, ihre Finger in meine Hose zu kriegen.«
Aha! Rita überlegte. Und fing an, schneller auf ihrem Block herumzukritzeln, um ihr Interesse zu bekunden.
»Können Sie mir sagen, warum manche Frauen so sind?«, fragte Blank. »Ich meine, ich war damals gerade mal dreizehn.«
»Waren Sie groß für Ihr Alter, David?«
»Aber Frau Doktor!«
Rita wurde rot. Er hatte es geschafft, sie in Verlegenheit zu bringen, was nicht oft vorkam. »Sie wissen, dass es nicht das war, was ich gemeint habe, David.«
»Kennen Sie die Antwort auf meine Frage«, beharrte er, »warum manche Frauen Interesse an Jungen haben?«
»Es gibt verschiedene Gründe. Warum erzählen Sie mir nicht mehr über diese Sachbearbeiterin, dann kann ich vielleicht etwas mehr Licht in ihre persönliche Motivation bringen. Sie könnte eine wichtige Person in Ihrem Leben sein. Sie haben nicht gesagt, wie sie hieß.«
»Nein, habe ich nicht. Und ich würde nicht sagen, dass sie eine Motivation hatte. Es war eher ein Zwang.«
»Stimmt. Sie haben recht. Es war wahrscheinlich ein Zwang.« Wenn es überhaupt passiert ist. Sie fing seinen Blick auf. »Interessieren Sie sich für zwanghaftes Verhalten, David?«
»Sicher. Man könnte sagen, das ist einer der Gründe, aus dem ich hier bin.«
»Dann erzählen Sie mir etwas über die anderen Gründe.«
»Lassen Sie mich erzählen, wie es ist, zwölf Jahre alt zu sein und drei Tage von nichts anderem als Wasser leben zu müssen.«
»Ich dachte, Sie
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