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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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war sehr nah. Sie raspelte förmlich in Emmas Ohr. Emma drehte sich um. An der Wand hinter ihr lehnte die Frau aus der Kirche. «Aber so ist die Polizei nun mal. Sie lassen einen im Dunkeln tappen und erzählen einen Scheiß. Deswegen ist Danny ausgestiegen. Sagt er zumindest.»
    Sie war durch eine kleine Tür in den Raum gekommen. Emma sah in eine Kammer, die mit Kisten vollgestellt war. In einer Ecke standen ein wackeliger Sessel, ein Wasserkocherund ein Tablett mit schmutzigen Kaffeebechern. Die Frau hatte dort gesessen und zufällig alles mitgehört.
    «Wer sind Sie denn?», fragte Emma, und noch bevor die Frau antworten konnte, entsann sie sich Dans Warnung. «Sind Sie etwa von der Zeitung?»
    Die Frau lachte keuchend los. Ihr riesiger Busen wogte.
    «Ich doch nicht, Herzchen. Ich bin auf der Seite der Guten.» Sie streckte ihr eine Hand von der Größe einer Schaufel entgegen. «Vera Stanhope. Detective Inspector Vera Stanhope, Kripo Northumberland. Ich bin hinzugezogen worden, um diesen ganzen Mist hier aufzuklären.»

Kapitel zwölf
    Vera Stanhope war die dickfelligste Person, die Emma je begegnet war. Und das nicht nur, weil sie sich nicht darum scherte, ob etwas peinlich oder beleidigend war. Sie war ein Dickhäuter im wahrsten Sinne des Wortes. Im Gesicht war ihre Haut unrein und narbig und stellenweise mit Pusteln übersät, an den Händen rau und rissig. Irgendeine Allergie oder Krankheit, dachte Emma, aber sie konnte sich zu keinem Mitleid durchringen. Das war keine Frau, für die man Mitleid empfand. Vera stand da, kniff die Augen zusammen und sah sie beide an.
    «Danny, hast du nicht gerade was von Kaffee gesagt? Aber nicht hier, Herzchen. Gehen wir doch wohin, wo’s ein bisschen netter ist.» Sie richtete den Blick auf Emma. «Wohnen Sie nicht auch hier am Platz?»
    Emma wusste, was von ihr erwartet wurde. Sie sollte die beiden zu sich einladen, sie ins Wohnzimmer führen, Kaffeekochen und Gebäck servieren. Und dann die Fragen dieser sonderbaren Frau beantworten. Die alten Geschichten wieder hervorkramen. Und die ganze Zeit über würde der Blick aus Veras Reptilienaugen voller Neugier im Zimmer umherwandern, so aufdringlich wie bei den alten Damen aus der Kirche, die sich, als sie gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden war, selbst eingeladen hatten, um das Baby zu begutachten. Das ertrug sie nicht.
    «Zu mir nach Hause können wir leider nicht», sagte sie rasch. «Mein Mann schläft. Er hat die ganze Nacht gearbeitet.»
    Dan Greenwood rettete sie. Vielleicht spürte er ja ihre Panik, auch wenn sie sich nicht länger einredete, dass das an einem besonderen Verständnis zwischen ihnen lag.
    «Warum gehen wir nicht zu mir? Ich wollte sowieso gerade Mittagspause machen.»
    Vera schenkte ihm ein breites Lächeln, als hätte sie nur auf diesen Vorschlag gewartet.
    Es hatte aufgehört zu regnen. In den Pfützen und auf dem Bürgersteig spiegelte sich das Sonnenlicht in ausgefransten Klecksen. Emma wartete darauf, dass Dan zusperrte. Selbst jetzt noch ertappte sie sich dabei, ihn zu beobachten. Auf seinen Handrücken wuchsen dunkle Haare. Als er das Vorhängeschloss fest zudrückte, klappte sein Ärmel zurück, und sie sah sein Handgelenk und stellte sich vor, wie es wohl wäre, seinen Arm zu berühren.
    «Ich nehme das Auto», sagte sie. «Beim Fahren schläft Matthew immer ein. Dann können wir in Ruhe miteinander reden.»
    Es war nicht weit zu Dans Haus, aber sie wollte nicht, dass man sie sah, wie sie hinter den beiden auf dem schmalen Bürgersteig herlatschte, als Teil einer seltsamen Prozession, einer Freakshow aus dem Zirkus. Er wohnte amCrescent am Rand des Dorfs, einer sichelförmig angelegten Häuserreihe aus den dreißiger Jahren. Die Häuser waren einmal Sozialwohnungen gewesen, und ein oder zwei gehörten immer noch der Gemeinde, was man an dem einheitlichen grünen Anstrich erkannte. Die Übrigen waren von den Bewohnern erworben oder an Zugezogene wie Dan verkauft worden. Hinter den Häusern lagen lange, schmale Gärten, die sich fächerförmig zum Ackerland hin weiteten.
    Emma ließ sich Zeit. Sie ging noch einmal ins Haus und sah zu, wie die beiden sich auf den Weg machten, bevor sie Matthew zum Auto trug und seinen Sitz festschnallte. Sie wollte nicht vor ihnen da sein, und wenn sie sie unterwegs überholte, würde sie sich vielleicht verpflichtet fühlen, sie mitzunehmen. Bei der Vorstellung, Vera Stanhope in ihrem Auto sitzen zu haben, fühlte sie sich ebenso hilflos

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