Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
Vom Netzwerk:
Cindy ist seit vier Monaten clean.«
    »Ach ja? Hat Cindy dir das gesagt? Und was, wenn sie mal wieder gelogen hat?«, entfuhr es Lena lauter als gewollt. Sie ermahnte sich, sich zu zügeln, um den kleinen Marcel, der inzwischen in ihrem Arm eingeschlafen war, nicht zu erschrecken. Tamara schnitt eine Grimasse. »Meine Freunde waren dir doch sowieso noch nie gut genug.« Sie nahm Lena wütend das Kind aus dem Arm. »Aber im Gegensatz zu dir, Schwesterherz, habe ich wenigstens welche.«
    Kopfschüttelnd verschränkte Lena die Arme. »Na bravo, es hat sich also nichts geändert! Ich fasse es nicht, dass du dein Kind einem Junkie anvertraust.«
    »Exjunkie«, betonte Tamara und verdrehte die Augen. »O Mann … Meine Tochter wird jeden Tag von Cindy in die Schule gefahren, geht zur Hausaufgabenhilfe und so weiter und so fort. Das ganze Programm eben.« Sie verzog ihre Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Du siehst, es ist für alles gesorgt.«
    Lena schwieg und dachte sich ihren Teil. »Tamara, hör zu, ihr könnt hier wirklich nicht bleiben«, setzte sie abermals an. Es war ihr gewiss nicht leichtgefallen, die Worte über die Lippen zu bringen. Und auch wenn ihr Gefühl ihr sagte, dass der Stümmler nicht bei ihr zu Hause aufkreuzen würde, wollte sie Tamara und das Baby unter keinen Umständen in Gefahr bringen.
    »Ach ja?« Tamara warf ihr einen genervten Blick zu. »Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?«
    »Ich arbeite gerade an einem Fall und …« Lena biss sich auf die Zunge. »Glaub mir einfach, ich kann dir das jetzt nicht erklären.«
    »Ist ja wieder mal typisch«, stieß Tamara verächtlich hervor. »Du bist ja sooo wichtig!« Der Winzling in ihrem Arm begann zu schreien. »Ts, wo soll ich denn jetzt hin?« Anstatt zu antworten, holte Lena ihr Handy hervor und telefonierte mit einigen Hotels auf der Suche nach einem freien Zimmer. Im Smith’s, einem gehobenen Mittelklassehotel in Prenzlauer Berg, hatte sie schließlich Glück. Lena reservierte ein Einzelzimmer mit Kinderbett. Anschließend rief sie die Taxizentrale an und bestellte einen Wagen. Tamara stand die ganze Zeit vor ihr und musterte sie verärgert.
    »Hier«, sagte Lena, nachdem sie ihr Portemonnaie geholt hatte, und streckte Tamara achtzig Euro entgegen.
    Tamara starrte auf das Geld. »Ist das alles?«
    Lena suchte ihr letztes Kleingeld zusammen und drückte Tamara ihre restlichen Euros für das Taxi in die Hand. »Morgen habe ich eine andere Lösung gefunden, okay?« Sie lächelte angestrengt und hoffte, dass Tamara keinen weiteren Ärger machte und einwilligte.
    Tamara zog eine Schnute, steckte das Geld aber ein und nahm ihren Koffer. Es tat Lena im Herzen weh, mit anzusehen, wie sich ihre Schwester mit dem schreienden Säugling zum Gehen wandte. Tamara war schon fast aus der Tür, da blieb sie an der Schwelle stehen, wandte sich zu Lena um. »Es ist wegen des Kindes, hab ich recht? Du kannst den Anblick nicht ertragen, weil dir Mutter Natur einen Strich durch die Rechnung gemacht hat und du selbst keine kriegen kannst.«
    Das war zu viel. Lena schüttelte nur den Kopf und schloss die Tür, ohne darauf zu antworten. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und atmete einige Male tief durch, um sich zu sammeln. Erst dieser Anruf, dann Tamara; Lena zwang sich, ihre Gedanken in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Dennoch hatte sie den Eindruck, von den Ereignissen begraben zu werden.

43
Einige Stunden später
    Benommen richtete Lena sich im Bett auf und strich sich die Haare aus der schweißnassen Stirn. Wie so oft hatte sich die Erinnerung an den brennenden Wagen ihrer Eltern in ihre nächtlichen Träume eingeschlichen. Für ihre Eltern war jede Hilfe zu spät gekommen. Der Unfall lag inzwischen rund zwei Jahrzehnte zurück, doch das Blut an ihren Händen hatte Lena zeitweise noch heute vor Augen. Es war die Art von Traum gewesen, der so grausam real war, dass er auch nach dem Aufwachen noch ein beklommenes Gefühl hinterließ. Doch in dieser Nacht hatte der Traum nicht mit der blutüberströmten Hand ihrer Mutter geendet, sondern mit dem Anruf des Killers. Der Anruf ließ ihr keine Ruhe. Lena starrte an die dunkle Schlafzimmerdecke, während sie seine Worte im Kopf immer wieder analysierte. Pausenlos trieben sie dieselben Fragen um: Was hatte diesen Artifex dazu bewogen, sie anzurufen? Woher kannte er ihre Nummer? Und woher wusste er um ihre Vergangenheit?
    Hellwach stieg Lena aus dem Bett, als sie hörte, dass Napoleon miauend vor der

Weitere Kostenlose Bücher