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Opferzeit: Thriller (German Edition)

Opferzeit: Thriller (German Edition)

Titel: Opferzeit: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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Reich der Toten konnte sie die Stimme ihrer Schwester hören, die sie aufforderte, sich zur Wehr zu setzen. Und das tat sie. Sie tat all das, wozu Melly nicht in der Lage gewesen war. Sie wehrte sich, und seit jenem Tag hat sie nicht mehr damit aufgehört. Ja, so sehr hat sie sich gewehrt, dass sie Gefallen daran gefunden hat. Großen Gefallen. Aber das ergab alles keinen Sinn. Allerdings hat sie nicht lange genug Psychologie studiert, um es zu verstehen, und sie glaubt auch nicht, dass Dr. Stanton in der Lage wäre, es ihr zu erklären. Mit einer Sache jedoch lag ihr Psychiater richtig – ihre Faszination für Polizisten rührte nicht daher, dass ihre Schwester von einem Cop getötet worden war, denn wenn dem so wäre, dann hätte sich auch eine Faszination für Professoren entwickeln müssen. Stattdessen geschah Folgendes, nachdem man sie angegriffen hatte: Aus ihrer Faszination für Polizisten wurde eine ausgewachsene Obsession. Ab da lungerte sie vor Polizeiwachen herum. Einigen Beamten folgte sie auch nach Hause und schlich sich in ihre Häuser. Sie wusste, das war verrückt. Sie wusste, das machte sie irre, aber so war es nun mal. Sie war fasziniert von Polizisten und von den Männern, nach denen sie suchten.
    Als sie die Stimme ihrer Schwester hörte, fing sie an, sich Melissa zu nennen, aber inzwischen hört sie die Stimme nicht mehr. Weil Melly mit all dem, was sie getan hat, nicht einverstanden wäre. Sie weiß das, weil Melly es ihr gesagt hat. Das war die letzte Botschaft, die sie ihr aus dem Jenseits geschickt hat. In einem Traum. Melly sagte, sie sei damit nicht einverstanden, und Melissa antwortete ihr, dass Männer Scheißkerle sind. Alle Männer. Sie erklärte ihr, dass einige es nur besser verbergen können, doch alle hätten es verdient, wie die Schweine behandelt zu werden, die sie in Wirklichkeit sind. Darauf hatte Melly keine Antwort – es sei denn, für immer zu verschwinden ist auch eine Antwort. Vielleicht ist es das ja tatsächlich, dachte Melissa.
    Sie fehlt ihr noch immer.
    Während sie sich den Polizisten an die Fersen heftete, lernte sie, zwischen den guten und schlechten zu unterscheiden, ja, es gab auch ein paar schlechte. Dann traf sie Joe. Sie folgte ihm nicht etwa, weil er ein Cop war. Genau genommen folgte sie ihm überhaupt nicht. Er arbeitete als Hausmeister. So viel war klar. Vor einem Jahr dann traf sie ihn zufällig in einer Bar, und sie kamen ins Gespräch, und der Rest ist Geschichte.
    Er fehlt ihr auch.
    An jenem Abend fand ihre Obsession für die Polizei ein Ende, und ihre Obsession für Joe wurde geweckt. Joe, ein Mann, den sie eigentlich hassen sollte – ein Mann, ähnlich dem, der ihre Schwester getötet hatte, ähnlich dem, der sie vergewaltigt hatte, – und sie ist von ihm besessen. Sie ist in ihn verliebt. Irgendwas in ihrem Innern ist nicht in Ordnung, ganz und gar nicht. Sie weiß das, sie spürt es jeden Tag, seit die Polizei zu ihr nach Hause kam, um mit ihren Eltern zu reden, und sie sich am Ende des Flurs versteckte, wo sie ein paar Gesprächsfetzen aufschnappte, darunter die Wörter tot, nackt, Polizist, Selbstmord . Würde sie Dr. Stanton bitten, ihren Zustand einem Laien verständlich zu erklären, würde er sagen, sie sei total im Arsch. Aber zu wissen, dass du im Arsch bist, bringt dich einer Lösung des Problems kein bisschen näher, nicht wenn du dich gut dabei fühlst, und Melissa fühlt sich gut dabei. Ja, sie fühlt sich sogar sehr gut dabei, richtig lebendig. Wenn all die schlimmen Dinge in ihrem Leben nicht passiert wären, und wenn Melly immer noch unter ihnen wäre, hätte dann ihr Leben den gleichen Verlauf genommen? Hätte sie dann eine andere Möglichkeit gefunden, zu dem Mensch zu werden, der sie jetzt ist?
    Sie hat sich diese Frage unzählige Male gestellt, und sie kann sie heute genauso wenig beantworten wie vor einem Jahr, als sie Joe kennengelernt hat.
    Vor dem Baumarkt parken ein paar Autos, trotzdem scheint der Laden fast leer zu sein. Seit sie ein Kind war, hat sie keinen Baumarkt mehr betreten, nur ihr Dad ist ein paar mal hier gewesen, so wie Väter das tun, wenn sie im Haus was reparieren oder eine Veranda bauen wollen. Das ist schon eine Weile her, und während die Hammer und Schrau benzieher immer noch wie beim letzten Mal aussehen, scheinen die Elektrowerkzeuge knalligere Farben zu haben, einige von ihnen wirken, als wären sie in der Zukunft produziert worden. Melissa trägt ihre rote Perücke, den Schwangerschaftsanzug

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