Opferzeit: Thriller (German Edition)
gemacht. Schroder verdient es nicht, ein Cop zu sein. Keiner von ihnen. Wie viele Stunden waren das insgesamt? Wie viele Minuten hat Joe sie zum Narren gehalten?
Die Fahrt zurück in die Stadt unterscheidet sich kein bisschen von der Hinfahrt. Derselbe Ausblick. Dieselben Tiere. Dieselben Männer auf Traktoren, die mehr Geld verdienen, als er je verdienen wird, aber sie stehen ja auch jeden Morgen sehr viel früher auf, als er es jemals gerne tun würde. Es gießt immer noch in Strömen. Der Regen prasselt auf den Wagen herab, und er weiß nicht, ob das Ding es durch den Winter schaffen wird. Wenn es in dem neuen Job nicht gut läuft, dann sollte er vielleicht die Stadt verlassen. Er könnte seine Familie in den Wagen packen und nach Nelson fahren, der Sonnenhauptstadt Neuseelands. Eine seiner Schwestern lebt dort oben. Jeder hat einen Verwandten, der in Nelson lebt, weil es dort so verdammt schön ist. Er könnte in einem Weingut arbeiten. Trauben pflücken und Wein keltern. Oder er könnte einen Reisebus fahren – die Touristen zur Weinprobe kutschieren und dabei zusehen, wie sie sich volllaufen lassen.
Joe. Dieser beschissene Joe. Schroder vergisst Nelson wieder und muss stattdessen, wie immer, an Joe denken. Wenn der Prozess vorbei ist, kann er vielleicht mit der Sache abschließen.
Auf den Straßen sind nicht viele Autos unterwegs, aber bei dem Wetter fahren sie sehr viel langsamer als sonst, sodass es scheint, als gäbe es einen kleinen Stau. Zur Stadt hin wird es noch schlimmer. Er ist mit Detective Wilson Hutton zum Mittagessen verabredet, und er wird zu spät kommen. Er fährt an den Straßenrand, um mit dem Handy seinen Ex-Kollegen anzurufen und den Termin um fünfzehn Minuten zu verschieben, aber bevor er dazu kommt, klingelt es. Es ist Hutton.
»Ich wollte dich gerade anrufen«, sagt Schroder.
»Hör zu, Carl, es tut mir leid, aber ich muss das Mittagessen absagen«, erklärt Hutton.
»Lass mich raten«, sagt Schroder, »ein weiterer Mord?« Das soll ein Witz sein, und er erwartet von Hutton ein Nein, aber schon als er es ausspricht, weiß er, dass es absolut nicht wie ein Witz klingt, sondern nur von seiner schlechten Laune zeugt, die gleich vom Schlimmsten ausgeht. Und wenn jemand stirbt, ist das nicht witzig. Und schon bedauert er, es gesagt zu haben.
»Ja, heute Morgen wurde eine Leiche gefunden«, sagt Hutton.
»Scheiße«, sagt Schroder.
»Wenigstens hat es diesmal einen von den bösen Jungs erwischt, Carl, du brauchst also kein allzu schlechtes Gewissen haben.«
In dem Fall hat Schroder überhaupt kein schlechtes Gewissen. Einer von den bösen Jungs weniger auf der Welt? Warum sollte er sich dabei schlecht fühlen?
»Hast du Einzelheiten?«, fragt Schroder und starrt auf das Wahlplakat, das über der Kreuzung hängt. Es wirbt für den derzeitigen Premierminister, der hofft, das zu schaffen, was Schroder letztes Jahr nicht gelungen ist – seinen Job zu behalten. Wer für ihn stimmt, stimmt für Neuseelands Zukunft, zumindest steht es so auf dem Plakat, allerdings steht da nicht, ob es eine bessere oder schlechtere Zukunft ist. Der Premierminister strahlt Zuversicht aus, obwohl ihm die Umfragen keinen Anlass dazu geben. Bis zur Wahl sind es nur noch ein paar Monate. Schroder weiß noch nicht, wen er wählen wird – wahrscheinlich den Kandidaten, der nicht so viele störende Plakate an Kreuzungen aufhängt.
»Tut mir leid, Carl, du weißt, ich darf nicht darüber reden.«
»Komm schon, Hutton …«
»Ich kann dir nicht mehr sagen, als dass es eine üble Sache ist.«
»Übel? Inwiefern?«
»Nicht was du denkst. Hör zu, ich erzähl’s dir, sobald ich kann.«
»Gehen wir heute Abend was trinken?«, fragt Schroder.
»Warum? Damit du mich für deine Fernsehsendung aushorchen kannst?«
»Warst du nicht derjenige, der gesagt hat, dass er an Hellseher glaubt?«
»Ich ruf dich an, wenn ich es schaffe«, sagt Hutton. »Bis später, Carl.« Dann legt er auf.
Schroder wirft sein Handy auf den Beifahrersitz, neben die Mappe mit der Aufschrift Finding the Dead . Er fragt sich, wie weit es noch kommen wird in dieser Stadt, in der schon so viele schlimme Dinge passiert sind.
Jetzt, wo er keine Verabredung zum Mittagessen mehr hat, fährt er direkt zum Sender. Er schluckt seinen Stolz herunter, obwohl er immer noch das Gefühl hat, seine Seele zu verkaufen, tritt in den Regen hinaus und marschiert ins Gebäude, um mit Jonas Jones zu reden.
Kapitel 8
Man lässt mich ein paar Minuten alleine
Weitere Kostenlose Bücher