Opferzeit: Thriller (German Edition)
sieht unter den Sitzen nach. Es muss herausgefallen sein, allerdings nicht im Wagen. Vielleicht liegt es bei ihm zu Hause. Oder irgendwo im Rinnstein und saugt sich mit Wasser voll, so wie er jetzt gerade.
Er läuft zu Kent zurück. »Ich kann’s nicht finden«, sagt er.
»Das macht bestimmt nichts.«
»Ich werd’s ihm morgen zeigen.«
»Carl …«
»Ich weiß, ich weiß, es ist nicht mein Fall«, sagt er und hebt eine Hand. »Ich versuche nur zu helfen.« Da klingelt sein Handy. Er zieht es aus der Tasche und schaut nach, wer anruft. Es ist das Fernsehstudio. Eigentlich sollte er inzwischen wieder am Drehort sein. Er schaltet das Handy stumm und lässt die Mailbox drangehen. Morgen wird für The Cleaner eine Szene im Kasino gedreht; die Hauptfiguren machen dort sauber, nachdem sich dort am Wochenende mehrere Profispieler das Leben genommen haben.
»Also, während Sie nach dem Foto gesucht haben«, sagt Kent, »habe ich nachgedacht. Sie haben ja gehört, was Raphael über die Demonstration gesagt hat? Was, wenn die Morde damit zu tun haben? Was, wenn es nicht um Melissa geht, sondern ausschließlich um die Volksbefragung? Man hat uns heute Morgen bei der Einsatzbesprechung informiert, dass sich vor dem Gerichtsgebäude möglicherweise bis zu fünftausend Leute versammeln werden, um gegen die verdammte Todesstrafe zu demonstrieren, weil sie glauben, dass sie das Land ins Mittelalter zurückkatapultiert. Und soweit wir wissen, taucht Raphael dort vielleicht mit Hunderten Befürwortern der Todesstrafe auf, die glauben, dass sie die Zukunft ist. Das sind eine Menge Leute, die sich Ge hör verschaffen wollen. Das ist eine gute Gelegenheit für jemanden, der mit einer Sprengladung ein Statement abgeben will.«
Schroder denkt darüber nach. »Sie glauben, dass Raphael etwas weiß? Sie glauben, dass der Sprengstoff für jemanden aus seiner Gruppe ist?«
Kent schüttelt den Kopf. »Seine Gruppe ist gegen Gewalt«, sagt sie, »niemand in so einer Gruppe will, dass Menschen zu Schaden kommen.«
»Kann sein«, sagt Schroder, »aber auch das Gegenteil ist möglich. Die Mitglieder so einer Gruppe sind für Gewalt, weil sie Rache wollen. Letztlich glauben die Menschen, der Zweck heilige die Mittel.«
»Rache, ja, aber nicht an unschuldigen Menschen.«
Schroder nickt. Er ist müde, was man an seiner dummen Bemerkung von eben erkennen kann. Wenn er hier fertig ist, wird er nach Hause fahren, und vielleicht kann er ein paar Stunden am Stück schlafen, bevor das Baby wach wird. »Sie haben recht«, sagt er und reibt sich die Augen.
»Allerdings gibt es unter den Menschen die verschiedens ten Arten, verrückt zu sein«, sagt sie. »Irgendjemand aus einem der beiden Lager glaubt vielleicht, er könne seiner Ansicht mit Sprengstoff mehr Nachdruck verleihen. Irgendjemand glaubt vielleicht, im Sinne eines übergeordneten Ziels wäre es nützlich, wenn Menschen zu Schaden kommen.« Sie starrt ihn ein paar Sekunden an. »Alles okay mit Ihnen, Carl?«
Bevor er ihr sagen kann, dass es ihm gut geht, tritt Raphael wieder in den Türrahmen. Seit Schroder ihn im letzten Jahr gesehen hat, ist er ein wenig gealtert, trotzdem ist er immer noch ein gutaussehender Mann, ein Mann wie er würde in einem Fernsehfilm den Premierminister spielen. Sollte es bei einer der Sendungen, die Schroder berät, mal eine Geschichte mit politischem Hintergrund geben, sollte er Raphael die Rolle anbieten.
Raphael gibt ihnen eine Liste mit Namen. »Das sind alle, an die ich mich erinnern kann«, sagt er, und es müssen knapp an die zwanzig Namen sein.
»Sagen Ihnen die Namen Derek Rivers oder Sam Winston etwas?«, fragt Kent und gibt die Namen preis, die so wieso bald in den Nachrichten verbreitet werden. Am Abend wird das Land wissen, dass dort draußen jemand unterwegs ist, der seine Bürger erschießt – wenn auch keine besonders sympathischen Exemplare.
Raphael kratzt sich seitlich am Kopf, und seine Finger verschwinden zwischen den Haaren. »Nein. Sollten sie das? Sind sie auch tot?«
»Und Sie sind sicher, dass Ihnen niemand aufgefallen ist?«
Er denkt noch ein paar Sekunden nach. Dann nickt er. »Absolut«, sagt er.
»Vielen Dank für Ihre Mühe«, sagt Kent, und sie schütteln einander die Hände, dann laufen sie und Schroder zurück über den Parkplatz und suchen Schutz in seinem Wagen.
Kapitel 22
Schroder ist mit dem eigenen Wagen hier aufgekreuzt – und er war nicht allein, er hatte eine Frau dabei. Melissa hat sie schon mal gesehen.
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