Optimum 1
gegen Angehörige dieser Schule – ganz gleich ob Schüler, Lehrpersonal oder andere Angestellte – bringen nur Misstrauen und Unruhe in den Schulalltag. So etwas ist nicht angemessen, und schon gar nicht begründet. Eure Mitschülerin hat Selbstmord begangen, ganz gleich, was ihr darüber denken mögt. Ihr könnt es glauben oder auch nicht, aber mit den Nachforschungen und Verhören ist jetzt Schluss, verstanden? Ihr seid nicht die Polizei.«
Rica kaute auf ihrer Unterlippe herum und nickte. Eliza murmelte etwas, das eine Zustimmung sein konnte. Die Luft im Büro des Rektors erschien Rica fürchterlich stickig und unerträglich warm. Sie wollte nur noch raus, an die frische Luft, in die Nacht hinaus.
Aber der Rektor war noch nicht fertig mit ihnen.
»Natürlich können wir über diese Aktion heute Nacht nicht einfach hinwegsehen«, sagte er, und inzwischen war der Ton seiner Stimme ziemlich bedrohlich geworden. »Ihr beide werdet eine angemessene Strafarbeit zu leisten haben. Ich denke, Ricarda, du solltest dich mit Herrn Schaller in Verbindung setzen. Immerhin bist du in sein Büro eingebrochen. Das ist viel mehr als nur eine Lappalie. Es ist ein Eindringen in seine Privatsphäre. Du solltest dich bei ihm entschuldigen, und ich bin mir sicher, er wird eine angemessene Aufgabe für dich finden.« Er machte eine Pause, vielleicht um die Dramatik zu erhöhen. »Außerdem möchte ich dich darauf hinweisen, dass wir auf deine schulischen Leistungen ab morgen ein Auge haben werden. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass du an der Daniel-Nathans-Akademie nicht mehr richtig aufgehoben bist, werden wir einen anderen Platz für dich finden müssen. Vielleicht an einer Schule in der Stadt.« Ein hässlicher, selbstzufriedener Ausdruck war auf sein Gesicht getreten. Sie kannte diesen Ausdruck, den alle Lehrer annahmen, wenn sie sich wieder mal in ihrer Annahme bestätigt fühlten, dass ein Schüler, von dem sie ohnehin wenig hielten, nichts taugte.
»Eine Schule in der Stadt?« Ihre Stimme war tonlos, sie musste sich räuspern und die Frage wiederholen, damit sie überhaupt gehört werden konnte.
»Hast du geglaubt, dass wir die einzige Schule hier in der Umgebung sind?«, erwiderte der Rektor. »Wir haben deiner Mutter einen Gefallen getan, als wir dich hier aufgenommen haben. Grundsätzlich sind wir bereit, den Kindern vom Lehrpersonal hier einen Platz einzuräumen, aber das hängt natürlich von ihren Leistungen und vor allem von ihrem Verhalten ab. Wir hatten uns dafür entschieden, dir eine Chance zu geben, auch wenn deine schulischen Leistungen nicht ganz den Standards dieser Schule entsprechen, aber wir können diesen Entschluss jederzeit rückgängig machen.« Er lächelte hinterhältig und lehnte sich zurück. »Natürlich ist die Stadt viel zu weit entfernt, um jeden Tag zu pendeln. Für diese Fälle gibt es sehr gute betreute Jugendunterkünfte für Schüler direkt vor Ort. Wir haben dort immer einen oder zwei Plätze sicher, ein kleines Arrangement mit dem Jugendamt. Unter der Woche könntest du dort wohnen.«
Rica wurde ganz mulmig. Nicht nur, dass sie nicht mehr am Unterricht teilnehmen sollte – das wäre ja noch zu verkraften gewesen –, nein, man wollte sie auch noch vom restlichen Schulleben isolieren. Mit dem Kletterkurs war dann Schluss, und Eliza und die anderen würde sie nur noch am Wochenende sehen, wenn überhaupt. Und was sie bei einer Einrichtung vom Jugendamt erwarten würde, wollte sie sich gar nicht erst ausmalen…
»Sie können mich doch nicht einfach in ein Heim abschieben«, protestierte sie. »Dafür ist ein Jugendamtsbeschluss notwendig, das weiß ja sogar ich.«
Der Rektor seufzte, als müsse er einem kleinen Kind etwas ganz Offensichtliches erklären. »Das ist doch kein Heim, Rica, das ist eine Einrichtung, die dir ermöglichen soll, auf eine Schule zu gehen, die besser zu dir passt. Wenn es dich beruhigt, diese Option stand schon im Raum, als wir deine Mutter eingestellt haben. Tatsächlich steht in ihrem Arbeitsvertrag eine entsprechende Klausel. Die Zustimmung zu dieser Bedingung – dass wir dich eventuell woanders unterbringen dürfen – gehört zu den Konditionen ihrer Anstellung.«
Rica schluckte. Ihre Mutter hatte so etwas unterschrieben? Warum hatte sie ihr denn nichts davon erzählt? Was sollte das Ganze? Bevor ich hierhergekommen bin, wäre ich vermutlich froh gewesen, wenn sie mir von dieser Chance erzählt hätte, dem Dorfleben zu entrinnen, dachte sie, deswegen
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