Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
erschien mir so leuchtend, ein solches Vorbild. Wenn er über seine Zukunftspläne gesprochen hat, dann hat er eine Energie ausgestrahlt, die ansteckend war. Ich habe wirklich geglaubt, wir seien hier einer großen Sache auf der Spur.
Ob er weiß, was seine Mitarbeiter in seinem Namen entscheiden? Ist ihm klar, dass wir bereit sind, Verbrechen zu begehen? Hat er den Mord angeordnet?
Ich kann es kaum von ihm glauben. Ich halte mich für einen guten Menschenkenner, und so ist er mir nicht vorgekommen. Vielleicht wäre es das Richtige, wenn ich mit ihm spreche. Thomas rät mir davon ab, er meint, ich solle warten, bis sein eigener Plan Früchte trägt, aber ich halte es nicht mehr aus. Ich muss einfach etwas tun. Heute Abend versuche ich, Herrn Kaltenbrunn im Labor abzupassen. Ich hoffe, es geht alles gut. Für alle Fälle werde ich das Tagebuch im Labor lassen. Vielleicht findet es ja jemand, der ein bisschen Verantwortungsgefühl im Leib hat.
Das war der letzte Eintrag. Rica ließ das Tagebuch sinken und starrte blicklos auf die Seite vor sich. Die Handschrift war krakelig und glich keineswegs mehr den geschwungenen Schnörkeln vom Anfang. Es war, als hätte die Frau sich selbst aufgegeben.
Das war also die Quelle meines Vaters. Kein Wunder, dass sie nicht zu einem Treffen erschienen ist. Wenn sie nicht einmal mehr ihr Tagebuch abgeholt hat – wer weiß, was aus ihr geworden ist? Sie sagt ja selbst, dass die Mitarbeiter hier nicht mehr vor Mord zurückschrecken.
Mord. Dieser Gedanke brachte Rica sofort wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und machte ihr klar, in welcher Lage sie sich befand. Wenn überhaupt, dann hatte das Tagebuch alles noch schlimmer gemacht, nicht besser. Sie schob das Tagebuch unter die Bettdecke und sah sich erneut im Zimmer um. Wenn es doch wenigstens irgendeine Möglichkeit zur Flucht gäbe.
Das Schloss klickte, und Rica fuhr so heftig zusammen, dass sich ihre Fingernägel in die Handflächen bohrten. Sie hatte das Gefühl, ihre Haut müsse unter dem Druck aufreißen. Jetzt kommen sie mich holen. Doch als die Tür aufschwang, sah Rica keineswegs die Sicherheitsbeamten, sondern einen Mann, vielleicht im gleichen Alter wie ihr Vater. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt und sah weder offiziell noch bedrohlich aus. Sein dunkles Haar war verwuschelt, als habe man ihn gerade aus dem Schlaf geholt, und in einer Hand trug er ein Tablett, das mit einer Plastikhaube abgedeckt war.
»Möchtest du etwas essen?«, fragte er und setzte das Tablett auf dem Tisch ab.
»Und was ist wohl da drin?«, erwiderte Rica mit einem feindseligen Blick auf das Tablett. »Zyankali?«
Der Mann runzelte verwundert die Stirn. »Zyankali könntest du vielleicht riechen, das würde niemand verwenden.« Er lächelte. Es war ein offenes, herzliches Lächeln. »Wie kommst du überhaupt auf die Idee? Hier will dir doch niemand etwas tun.«
»Ach nein? Und was ist aus Elisabeth …« Rica konnte sich nicht mehr an den Nachnamen erinnern, also zog sie kurzerhand das Buch unter der Decke hervor. »Elisabeth Marner«, ergänzte sie. »Was ist aus ihr geworden? Ist sie einfach in Urlaub geflogen, oder was?«
Der Mann zog seine Augenbrauen zusammen. Sein Blick wanderte von Ricas Gesicht zu dem Buch und wieder zurück. »Was hast du da?«, wollte er wissen. »Was ist mit Frau Marner? Meines Wissens hat sie vor zwei Wochen gekündigt. Jedenfalls habe ich sie hier nicht mehr gesehen.«
»Gekündigt!« Rica schnaubte. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie ihre Wut jetzt an diesem harmlosen Kerl ausließ. Vermutlich, weil er nichts dagegen tun konnte. »Das klingt hier aber anders!« Sie schlug den letzten Eintrag auf und zeigte darauf.
»Darf ich das vielleicht mal sehen?«, fragte er vorsichtig und streckte die Hand nach dem Buch aus.
Jetzt zögerte Rica. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, das Buch aus der Hand zu geben. Es war der einzige Beweis, der ihr noch geblieben war. Wenn der Mann auch nur eine aggressive Bewegung gemacht hätte, hätte sie vermutlich versucht, es in Sicherheit zu bringen, aber er stand einfach nur da, ein höfliches Lächeln auf dem Gesicht und die Hand weiter ausgestreckt. Zögernd gab Rica ihm das Buch.
»Ich darf doch?«, fragte der Mann und ließ sich auf den Stuhl vor dem immer noch unberührten Essen sinken.
Rica zuckte mit den Schultern, aber das konnte er vermutlich gar nicht mehr sehen, denn er begann interessiert zu lesen.
Wie Rica selbst las er nur einige wenige Einträge,
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