Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
Englischstunde vorbei sein sollte, wandte sie sich der zweiten Aufgabe zu, die sie sich gesetzt hatte: Sie richtete ein kleines Forum ein, in dem sie hoffte, Mitglieder zu gewinnen, die etwas zum Institut zu sagen hatten, ohne dass sie gleich in der Öffentlichkeit von Facebook darüber sprechen mussten. Sie bastelte gerade friedlich an den verschiedenen Themenbereichen herum, als sie sah, dass auf ihrem Facebook-Tag zwei neue Nachrichten angezeigt wurden. Sie wechselte hinüber und las die Nachrichten unter ihrem Aufruf voller Aufregung.
Leider wurde sie bitter enttäuscht. Die erste lautete:
Hey, wenn du mehr wissen willst, können wir uns gerne treffen. Ich kann dir sicher einiges beibringen, Baby …;) , die andere: Du solltest mal zu einem Arzt gehen. Das nennt sich Verfolgungswahn, was du da verbreitest. Als ob es nicht schon genug Verschwörungstheorien auf der Welt gibt.
Enttäuscht wollte Rica sich schon von dem Fenster abwenden, als ihre Nachrichtenbox blinkte. Sie hatte eine Nachricht von »Opfer 2012« erhalten. Ricas Herz begann, schneller zu schlagen. Sie klickte probeweise auf das Profil des Users, aber es schien – genauso wie ihres – neu angelegt worden zu sein. Dann erst rief sie die Nachricht auf.
Hallo,
endlich nimmt mal jemand die Dinge in die Hand. Ich habe schon gedacht, ich sei verrückt, nur, weil ich glaube, dass mit dem Institut etwas nicht stimmt. Ich versuche schon seit Jahren, etwas herauszufinden.
Zu deiner Information: Ich wohne in einer Einrichtung, die vom Institut finanziert wird. Meine Eltern kenne ich nicht, ich bin mein Leben lang von den Erziehern hier großgezogen worden. Zuerst war alles normal. Aber im letzten Jahr … ist etwas passiert. Ständig tauchen Leute hier auf und nehmen Blutproben von mir. Ich darf das Gelände nicht mehr verlassen, und vor zwei Monaten haben sie mir etwas gespritzt, was glaube ich eine Art Sender ist. Wie bei Hunden, du weißt schon.
Wo das Institut selbst ist, weiß ich leider nicht, aber ich will dich wirklich gerne sprechen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sich irgendwo auszusprechen, wo es nicht so öffentlich ist wie FB?
Grüße,
Henry
Ricas Herz schlug bis zum Hals. Sie hatte nicht erwartet, so schnell eine so eindeutige Antwort zu erhalten. Sie schluckte, versuchte, sich ein wenig zu beruhigen und schickte dann dem User die Adresse ihres frisch eingerichteten Forums. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr. Wenn sie nicht Mathe auch noch verpassen wollte, musste sie aufhören.
Rica erhob sich mit einem etwas leichteren Herzen. Endlich hatte sie das Gefühl, mal etwas in Gang gebracht zu haben.
Kapitel sieben
Ertappt
Den Rest des Schulvormittags brachte Rica erstaunlich entspannt rum. Sie schaffte es sogar, eine einigermaßen plausible Entschuldigung zu fälschen, die sie der Englischlehrerin in der Mittagspause vorbeibrachte. Zwar nahm Frau Kehlmann die angebliche Unterschrift von Ricas Mutter scharf unter die Lupe, doch Rica hatte diese in ihrem Leben oft genug fälschen müssen, um sie jetzt halbwegs naturgetreu hinzubekommen. Dazu kam, dass sie an der Daniel-Nathans-Akademie noch nie den Unterricht geschwänzt hatte, und die Lehrer das von ihr nicht gewohnt waren. An ihrer früheren Schule war das etwas ganz anderes gewesen.
Sie hatte Eliza im Flüsterton von ihrem Facebook-Aufruf und der Antwort darauf erzählt, aber statt sich zu freuen, hatte ihre Freundin nur ein skeptisches Gesicht gemacht. »Versprich dir nicht zu viel. Ich kann mir vorstellen, dass sich da einige nur großtun wollen«, meinte sie.
Rica war sich da nicht so sicher. Die Nachricht hatte sehr echt geklungen.
»Wir werden sehen«, erwiderte sie nur.
Eliza schüttelte den Kopf. »Wenn dieser Henry in der gleichen Einrichtung wohnt wie Nathan, warum hat er sich dann nicht auf den Aufruf am Schwarzen Brett gemeldet?«, wollte sie wissen.
»Vielleicht hat er ihn nicht gesehen. Oder er traut anderen Leuten aus der Einrichtung nicht. Oder er hat sich gemeldet, aber Nathan hat ihm nicht geantwortet.« Rica war nicht bereit, ihren ersten Erfolg kleinreden zu lassen. »Warten wir es ab, ja?«, meinte sie in versöhnlichem Tonfall.
Direkt nach dem Mittagessen begab sich Rica wieder in den Computerraum. Eigentlich war Hausaufgabenbetreuung angesagt, aber was einmal geklappt hatte, ging auch zweimal. Sie würde einfach noch eine Entschuldigung schreiben. Immerhin kamen und gingen Regelschmerzen in Wellen. Das wusste doch jeder.
Dieses Mal war der Raum
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