Optimum - Purpurnes Wasser (German Edition)
daran machten, den Rastplatz zu erkunden, stets verfolgt von den Ermahnungen der Mutter, dass sie ihre Kapuzen aufsetzen sollten und keinen Dreck vom Boden aufsammeln und dass sie gleich zum Essen kommen sollten. Rica starrte die Familie sehnsüchtig an. So sollte das Leben sein. So normal. Einfach. Mit kleinen, normalen Problemen. Keine Agentengeschichten und Mordanschlägen und all so etwas.
Die Tür hinter ihr schwang auf. Rica zuckte zusammen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Robin trat ins Freie, das Gesicht immer noch blass, aber tapfer um ein Lächeln bemüht. Mit der Rechten umfasste er seinen linken Unterarm. Als Rica ihren Blick dorthin wandern ließ, sah sie den frischen Verband. Sie starrte völlig perplex darauf, irgendwie in der Erwartung, dass gleich Blutflecken darauf auftauchen würden. Aber der Stoff blieb weiß.
»Es war gar nicht so schlimm«, meinte Robin, aber seine Lässigkeit wirkte bemüht. »Dein Vater ist schon cool, weißt du das?«
Rica verdrehte die Augen. Das fehlte noch, dass ihr Freund sich ihren mysteriösen Geheimdienst-Vater als ernsthaftes Vorbild nahm. Nein, danke.
»Wohin jetzt?«, fragte sie halb an Robin gewandt und halb an ihren Vater, der hinter ihm aus dem Klohäuschen getreten war. Er zuckte beim Klang ihrer Stimme leicht zusammen, und da erst wurde Rica bewusst, dass auch er die Familie mit sehnsüchtigen Blicken gemustert hatte.
Er muss sich nicht so anstellen. Er hätte ja zu Hause bleiben können, wenn er sich so sehr nach Familienleben sehnt.
»Wir fahren in ein sicheres Versteck«, meinte Ricas Vater. »Und dann – wenn du immer noch Wert darauf legst – können wir reden.«
»Da kannst du Gift drauf nehmen, dass ich darauf noch Wert lege«, murmelte Rica, aber sie merkte selbst, dass ihre Worte kaum Energie hatten. Sie war müde. Heute war so viel passiert, und dabei war der Tag noch lange nicht zu Ende. Und nicht nur der Tag. Bis das hier alles vorbei ist, werde ich überhaupt keine Energie mehr übrig haben, dachte sie, als sie wieder auf die Rückbank des Autos kletterte.
Die Fahrt dauerte lang, und irgendwann war Rica eingedöst. Robin neben ihr schlief schon lange ziemlich fest. Ricas Vater hatte ihm ein Schmerzmittel gegeben, nichts besonders Starkes, aber genug, um ihn elend müde zu machen. Als der Wagen langsamer wurde und schließlich anhielt, kehrten Ricas Sinne langsam wieder zu ihr zurück.
Sie hatten vor einem kleinen Häuschen angehalten. Es war ein weißgetünchtes, einstöckiges Haus mit einem leuchtendroten Ziegeldach, umgeben von einem kleinen, etwas verwilderten Garten. Eine dichte Buschhecke säumte den Plattenweg, der zum Eingang führte. Rica sah sich um, konnte aber in der unmittelbaren Umgebung keine anderen Häuser sehen.
»Was ist das hier?«
»Ein Ferienhaus«, meinte Ricas Vater und stieg aus dem Wagen. »Es gehört mir. Und glücklicherweise weiß beim Institut niemand davon.«
»Es gehört dir?« Rica stieg ebenfalls aus. Sie fühlte sich noch immer ein wenig groggy. »So was kannst du dir leisten?« Sie dachte daran, dass ihre Mutter und sie selbst zwar nicht gerade in Armut gelebt hatten, aber einfach so ein Ferienhaus zu kaufen lag weit jenseits ihrer Möglichkeiten.
Ricas Vater zuckte mit den Schultern. Dann öffnete er Robins Autotür. Robin schlief noch immer fest, und Ricas Vater brauchte ein paar Versuche, ihn wenigstens so wach zu bekommen, dass er heilen Fußes zum Haus taumeln konnte. Ricas Vater schloss auf, und bugsierte ihn sogleich in ein winziges Schlafzimmer auf der rechten Seite, wo Robin einfach auf das schmale Bett fiel und weiterschlief. Rica warf ihm noch einen liebevollen Blick zu, bevor sie sich umdrehte und leise die Zimmertür hinter sich schloss. Dann stand sie allein ihrem Vater gegenüber.
Sie starrten sich an. In dem winzigen Hausflur herrschte ein unbestimmtes Dämmerlicht, sodass Rica die Züge ihres Vaters nur schemenhaft erkennen konnte. Er sah aus wie ein schattenhafter Dämon, der sie eindringlich musterte. In diesem Moment hatte Rica fast das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken. Sie konnte sich vorstellen, warum ihre Mutter immer sagte, sie sei ihrem Vater so ähnlich.
»Und?«, wollte sie wissen. »Erzählst du mir jetzt alles?«
Ihr Vater seufzte. »Komm mit!«, gab er zurück, drehte sich um und öffnete eine Tür am Ende des Flurs. Sie traten in ein sonnendurchflutetes kleines Wohnzimmer mit einer Küchenzeile auf der linken Seite. Eine
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