OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
erwachen konnte – seine Schwester Oda war wirklich umgebracht worden, genauso wie sein Onkel Heribert und sämtliche Männer, die mit ihnen auf Burg Hohenstein gelebt hatten.Und Kronus’ Mühlhof mit der kostbaren Bibliothek war wirklich ein Raub der Flammen geworden, so wie auch Kronus selbst von den Häschern des Inquisitors höchstwahrscheinlich verschleppt worden war.
Amos wandte sich um und sah Klara fragend an. Sie nickte ihm zu und fast gleichzeitig setzten sie über den Bach – Amos zu Fuß und Klara und Johannes auf ihren Tieren. Im Nu hatten sie die Straße überquert und verschwanden drüben wieder im Dickicht.
3
D
ie Sonne stand noch hoch
am wolkenlosen Himmel, als sie den Grund einer engen, lang gestreckten Schlucht erreichten. Ein gurgelnder Wildbach, gesäumt von Buschwerk und Weiden, ließ nur wenig Platz für einen glitschigen Pfad, der sich nach links und rechts scheinbar endlos am Rand des Gewässers dahinzog. Am jenseitigen Ufer gab es einen schmalen Wiesenstreifen – dahinter ragten Felswände empor, noch schroffer als der Abhang, den sie eben hinabgeklettert waren.
Welche Richtung die wilden Leute eingeschlagen hatten, war auch diesmal kaum zu übersehen: In Richtung Osten war der Uferpfad von schier unzähligen Fuß- und Hufabdrücken zertrampelt.
»Die haben hier unten nicht mal eine kurze Rast eingelegt«, sagte Amos. Er deutete auf den schlammigen Uferstreifen. »Kein Fußabdruck, gar nichts – nicht mal die Pferde haben sie getränkt.«
Klara schwang sich aus ihrem Sattel. »Was glaubst du, warum sie es so eilig hatten? Sie müssen doch gesehen haben, dass ihnen niemand auf den Fersen war.« Sie führte die Füchsin näher ans Ufer und die Stute senkte den Kopf und begann gierig zu saufen.
Amos zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Das gischtende Gewässer erinnerte ihn an den Gründleinsbach, der Kronus’ Gehöft U-förmig umfloss. Er kauerte sich ans Ufer, füllte seine gewölbten Hände mit köstlich kaltem Wasser und trank. »Das fragen wir sie am besten selbst«, fügte er hinzu, »sobald wir sie eingeholt haben.«
Unterdessen war Johannes gleichfalls vom Rücken seines Reittiers geglitten. »Und du«, fuhr Amos ihn an, »wirst mir jetzt auch mal eine Frage beantworten.« Er presste die Zähne aufeinander und ballte die Hände. Er verspürte den überwältigenden Drang, dem anderen Jungen seine Faust ins Gesicht zu schlagen – als Vergeltung für alles, was die Bücherjäger ihm selbst und Kronus angetan hatten. Aber er rang alle Rachegefühle nieder und setzte dann von Neuem an. »Als ihr den Mühlhof überfallen habt«, sagte er zu Johannes, »was habt ihr da mit Valentin Kronus gemacht? Ihn umgebracht oder in euern Folterkerker verschleppt – oder was sonst?«
Das Muli drängte sich zwischen ihm und der Füchsin zum Wasser und tauchte sein Maul hinein. Amos stand auf und machte ihm Platz.
Johannes sah auf den vorübergurgelnden Bach hinab und sein Mund zuckte. »Dieses unheimliche Bündel«, sagte er schließlich – »als ich auf dem Mühlhof ankam, hatten sie es schon fertig zusammengeschnürt. Es sah wie eine Teppichrolle oder so etwas aus, aber mir kam es so vor, als ob jemand da drinnen wäre.« Ein Schauder überlief ihn, er schlug die Hände vor sein Gesicht und schwieg.
»Und der Jemand in dieser Teppichrolle …«, Amos’ Kehle fühlte sich wie zerquetscht an, »das war Kronus?«
Johannes ließ seine Hände wieder sinken, wagte es aber anscheinend nicht, Amos ins Gesicht zu sehen. »Ich musste mithelfen, ihn … es … das Bündel zum Wagen zu schaffen.« Er sprach jetzt so leise und stockend, dass Amos ihn nur mit Mühe verstand. »Und da kam es mir vor, als ob das Bündel … zitterteund zuckte … jedenfalls sah es für mich so aus … so als wäre jemand da drin gefangen.«
»Und was habt ihr dann mit ihm gemacht, ihr verdammten Folterknechte?« Amos packte Johannes bei den Schultern und schüttelte ihn hin und her.
Lass ihn. Klara sah Amos bittend an. Er wird uns auch so alles sagen, was er weiß. Sie wandte sich Johannes zu und senkte ihre Lider, bis von ihren Augen nur noch schmale Schlitze zu sehen waren – anscheinend beschwor sie Johannes auf dem Gefühlsweg, ihnen alles zu offenbaren, was damals passiert war.
In Johannes’ hagerem Gesicht begann es wieder zu zucken. Doch schließlich gab er sich einen Ruck, und nun flogen ihm die Worte geradezu aus dem Mund – so als ob er von seinen Erinnerungen überwältigt würde oder als ob
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