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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Johannes Mergelin gleichfalls wie ein Toter geschlafen und beim Erwachen hatten sie sich alle drei wie neugeboren gefühlt. Der Steinmetz Walter und seine Frau Sarah hatten ihnen ein einfaches Frühstück gebracht – ein wenig Brot, ein paar Waldfrüchte und einen Krug Wasser. Später hatten sie sich in einem kleinen Wasserfall erfrischt, der noch tiefer im Berginnern über Tropfsteinkaskaden herabgestürzt kam.
    Alles hier drinnen im Gestein fühlte sich ein wenig unwirklich an – wohl nicht zuletzt deshalb, weil es hier niemals Tag wurde. Unaufhörlich flackerten die Fackeln, rannen Hunderttausende Tropfen an den Stalaktiten herunter und fielen mit hellem Plirren zu Boden. Der Berg enthielt unzählige Zimmer, Kammern und Säle, verbunden durch ein Labyrinth aus Gängen, und aus allen Richtungen war von früh bis spät leises Singen und Lachen zu hören. Ab und an sprach jemand in feierlichem Tonfall ein Gebet, aber auch diese Anrufungen Gottes und seiner guten Geister hatten stets einen freien und frohen Unterton – ganz anders als in den katholischen Messen, die Amos früher ab und an mit seiner Mutter in Wunsiedel besucht hatte. Dort hatten die Priester meist einen strengen Ton angeschlagen, so als ob die ganze Gemeinde schlimme Missetaten begangen hätte und Gott im Himmel nur ausnahmsweise noch einmal Gnade walten ließe. Alle hatten dort immer mit eingezogenen Köpfen in den Bänken gesessen oder sogar auf ihren Knien gelegen und es kaum gewagt, ihre Blicke auch nur zu dem strengen Priester zu erheben, der ihnen langwierige Höllenqualen androhte.
    »Ich hoffe sehr, dass ihr euch von den Strapazen der letzten Zeit ein wenig erholen konntet«, sagte Bruder Egbert, als er lange nach dem Mittagsmahl in ihr Felsgelass trat. Der Steinmetz Walter folgte ihm dichtauf und verwickelte Johannes sogleich in ein Gespräch. Anscheinend hatte Johannes gestern bei ihrer gemeinsamen Wanderung Zutrauen zu dem kräftigen und fürsorglichen Mann gefasst. Jedenfalls ließ er sich von Walter bereitwillig aus ihrer Kammer führen – zu einem »Buch aus Tropfstein«, wie der Steinmetz in schwärmerischem Tonfall erklärte. »Ein aufgeschlagenes Buch, man kann sogar einzelne Zeichen entziffern – du wirst Augen machen, Johannes.« Damit verschwanden die beiden und ließen Bruder Egbert mit Amos und Klara allein.
    »Mir ist nicht entgangen, dass ihr euren Gefährten die ganze Zeit über unauffällig beobachtet.« Mit einem leisen Seufzer ließ sich Egbert auf einem Steinsockel nieder und lehnte seinen Knotenstock neben sich an die Wand. »Ich will gar nicht wissen, weshalb ihr ihn beargwöhnt oder warum ihr ihn trotzdem an eurer Seite duldet. Bitte nehmt mir das offene Wort nicht übel – aber was ich nicht weiß, das kann ich auch nicht unter der Folter gestehen.«
    Klara zuckte zusammen. Sie und Amos saßen nah beieinander auf dem breiten Felssims, auf dem sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Amos ergriff ihre Hand und drückte sie sacht. »Was bringt Euch auf so düstere Gedanken, Herr?«, fragte sie.
    Egbert beugte sich noch ein wenig weiter zu ihnen herüber. »Jeder von uns – von unserem Orden, ihr wisst schon«, antwortete er gedämpft, »schläft seit Jahren und Jahrzehnten mit diesem Gedanken ein und wacht am nächsten Morgen wieder damit auf. Aber glaubt bitte nicht, dass ich mich deshalb beklagen wollte – wir alle haben uns vor einem halben Leben entschieden, dieses Wagnis auf uns zu nehmen, und niemand von uns hat es jemals bereut. Wir haben geschworen, jeder und jede von uns, notfalls das eigene Leben für das große Werk zu opfern. Lange Zeit ging auch alles glatt voran, und wir hatten schon begonnen, uns in der Hoffnung zu wiegen, dass uns bis zum guten Schluss nichts mehrmisslingen würde. Natürlich wussten wir, dass Leo Cellari, dieser Spürhund des Satans, Witterung aufgenommen hat und fieberhaft nach dem Opus sucht – dem Opus im doppelten Sinn, nämlich nach unserer Bruderschaft und nach dem Werk, um dessentwillen wir uns verschworen haben.«
    Er lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Klara und Amos verständigten sich durch einen raschen Blick. In Egberts Gegenwart konnten und wollten sie nicht auf dem Gedankenweg über ihn sprechen, aber das war auch gar nicht nötig: Amos vertraute dem alten Mann, und er spürte, dass es Klara ebenso erging. Wenn es in der Bruderschaft eine Gruppe gab, die allein friedliche, menschenfreundliche Ziele verfolgte, dann gehörte ihr neben Kronus

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