Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
und Mutter Sophia ganz bestimmt auch Bruder Egbert an.
    »Ich kenne Leo Cellari seit fast vierzig Jahren«, fuhr Egbert schließlich fort. »Wir sind damals zur selben Zeit in das Kloster eingetreten und der dritte Novize war ein gewisser Valentin Kronus.« Er lächelte in sich hinein. »Gegensätzlicher als diese beiden, Valentin und Leo, können zwei Männer kaum sein und doch waren – oder sind – sie sich in manchem auch wieder sehr ähnlich. Wie soll ich es euch beschreiben?«
    Er strich sich den dünnen grauen Bart und schien dabei in sich hineinzuhorchen. »Valentin war als junger Mann ein Hitzkopf, der keine Ordensregel akzeptieren und keine Glaubenslehre hinnehmen wollte, wenn ihm nicht alles von vorn bis hinten einleuchtete. Leo hatte nicht weniger seinen eigenen Kopf, aber er war hauptsächlich daran interessiert, möglichst schnell die Leiter hinaufzuklettern. Damals hat er uns oft von seinen Träumen erzählt: Er wollte Bischof werden, Kardinal und was weiß ich sonst noch. Aber mit seinem speziellen Talent war er im Grunde der geborene Inquisitor: Er musste einen nur ansehen oder ein paar Worte mit jemandem wechseln – und schon hatte er untrüglich herausgespürt, was im Innern des anderen vorging. Was er verbergen wollte und was ihn insgeheim antrieb. Wovor er sichfürchtete oder wovon er träumte. Bei dieser besonderen Begabung war es nur folgerichtig, dass Leo bei den Dominikanern geblieben ist – dem Mönchsorden, der hauptsächlich für die Inquisition zuständig ist.«
    Bruder Egbert schüttelte den Kopf. Er sah nun recht bekümmert aus und schwieg abermals geraume Zeit, offenbar in Erinnerungen versunken.
    »Und Valentin Kronus?«, fragte Amos. »Ist er mit Euch in jenem Kloster geblieben?«
    Der alte Mann schreckte aus seinen Grübeleien auf. »Valentin? Oh nein, der hat uns nach kaum einem Jahr schon wieder verlassen. Er konnte und wollte sich mit den Ordensregeln nicht abfinden. Absoluter Gehorsam – das war einfach nichts für ihn. Er hat allerdings erst viele Jahre später eingesehen, dass er für das Klosterleben ganz und gar ungeeignet war. Nach dem Dominikanerkloster in Mailand hat er es noch bei den Benediktinern, den Prämonstratensern und schließlich bei den Augustinern versucht, doch jedes Mal war er schnell der Schrecken seiner Vorgesetzten und Mitbrüder. Valentin hat in seiner Zelle die Geister angerufen und mit seiner bloßen Willenskraft die Kanzel in der Klosterkirche buchstäblich zum Tanzen gebracht. Er war schon als ganz junger Mann unglaublich belesen und hat jede freie Minute in den Klosterbibliotheken und -schreibsälen verbracht. Die Erzählung aus dem Neuen Testament, die ich gestern bei unserem kleinen Geisterdienst erwähnt habe, war damals schon eine von Valentins biblischen Lieblingsstellen. Die gesamte Schöpfung als Buch der göttlichen Geheimnisse – das musste ihm natürlich gefallen. Und an Selbstbewusstsein hat es dem guten Bruder Valentin auch nie gefehlt. Niemals werde ich den Brief vergessen, den ich eines Tages von ihm erhielt, nachdem er sich vom Klosterleben endgültig verabschiedet hatte. Ich war damals immer noch ein braver Mönch im Kloster Maulbronn, und Valentin schrieb mir: › Ich habe ein Refugium gefunden – endlich ist alles bereit für das Engelbuch .‹«
    Klara hob eine Hand, um den Redefluss des alten Mannes zu unterbrechen. »Langsam, Herr, bitte – das alles ist ungeheuer wichtig für uns. Und schwer zu verstehen.« Ihre Augen wurden schmal und ihre Stirn kräuselte sich, wie so häufig, wenn sie angestrengt überlegte. »Glaubt Ihr wirklich, dass
Das Buch der Geister
…« Sie unterbrach sich und schüttelte leicht den Kopf. »Schon die Frage kommt mir töricht vor, aber trotzdem: Glaubt Ihr, Bruder Egbert, dass Kronus’ Buch die göttlichen Geheimnisse enthält, die der Engel damals mit den Seiten aus seinem Buch verstreut hat?«
    Egbert sah sinnend an Klara und Amos vorbei. Seine Finger tasteten über das Holzkreuz vor seiner Brust. »Ein wenig von der göttlichen Schöpfungsmagie enthält es bestimmt«, antwortete er schließlich. »Aber ich habe mit Valentin oft darüber gesprochen: Bei seiner Arbeit hat er immer mitbedacht, dass gewisse magische Kräfte auch schreckliches Unheil anrichten können, wenn sie in die falschen Hände – oder Köpfe – geraten. Nicht von ungefähr unterscheiden die Eingeweihten seit alters zwischen weißer und schwarzer Magie. Und trotzdem«, fuhr er nach kurzem Nachsinnen fort – »jedes

Weitere Kostenlose Bücher