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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Dutzenden steif lackierter und altersrissiger Buchseiten, die alle gleichzeitig umgeblättert wurden. Warum kommst du so spät?
    Zögernd schwebte Amos näher zu ihm heran. Offenkundig verfügte der Abt über die Fähigkeit, magische Erscheinungen wie ihn selbst zu sehen – obwohl er für jeden anderen hier unsichtbar war.
    Ich habe gerade erst die dritte Geschichte gelesen , antwortete Amos.
    Trithemius war von ebenso zierlicher Gestalt wie Kronus. Doch aus der Nähe betrachtet kam ihm der Abt noch vielunheimlicher als sowieso schon vor. Sein Gesicht war grau und wundersam zerfurcht – es sah überhaupt nicht wie das Antlitz eines alten Mannes aus, sondern wie uraltes, vielfältig zerknittertes Papier, auf das irgendjemand einen dünnen Mund, eine winzige Nase und zwei schmale, staubfarbene Augen gemalt hatte.
    Hier herein – mach schnell! , befahl der Abt. Bevor dieser Höllenhund zu sich kommt . Sein Blick schweifte zu einem wüsten Trümmerhaufen in der Mitte des Büchersaals. Zersplitterte, halb verbrannte Überreste von Pulten und Schemeln mischten sich dort mit verkokelten Büchern und glimmenden Vorhangfetzen. Quer über alledem lag ein Schwert von furchterregender Länge, das irgendwer dort verloren hatte.
    Nicht irgendwer, korrigierte sich Amos und wieder begann sein Herz ängstlich zu pochen. Unter dem Trümmerhaufen sah eine schlanke und doch kräftige Männerhand hervor. Von dem purpurroten Robenärmel war kaum mehr als ein schattenhaftes Glühen unter den Trümmern zu erahnen, aber Amos hatte trotzdem sofort erkannt, wer dort verschüttet lag.
    Leo Cellari.
    Nun mach schon , sagte Trithemius. Er hatte ein Leinentuch aus seiner Robe hervorgezogen, hielt es sich vor den Mund und atmete durch den Stoff hindurch aus und ein. Ein kräftiger Veilchenduft ging von dem Tuch aus. Die Dämpfe sind nicht tödlich , erklärte Trithemius, der Amos’ Blick offenbar bemerkt hatte. Sie rauben bloß das Bewusstsein – und auch das nur, wenn man keine Vorkehrungen trifft . Er sog noch einmal tief den offenbar belebenden Duft aus seinem Tuch ein und schob es mit einem stillen Lächeln in seine Robe zurück. Ich muss mich sputen und habe dir vorher noch einiges zu sagen. Also auf jetzt , befahl er und kletterte die Leiter weiter hinab.
    Wie ähnlich er und Kronus sich sind, dachte Amos, und wie ganz und gar verschieden auf der anderen Seite. Ein kratzendes Geräusch ließ ihn herumfahren – die Hand war ein paar Zoll weit unter Ruß und Schutt hervorgekrochen. Das Handgelenk warnun gleichfalls zu sehen, umschlossen von dem purpurroten Ärmel, in dem sich das strahlend weiße Unterfutter wie sturmgebläht bauschte.
    Die Bücherwände brannten mittlerweile allesamt bis zur Decke hinauf. Wehklagend liefen die barfüßigen Mönche in dem Wirrwarr umher, doch zu retten gab es für sie nur noch wenig. Die Hand kroch noch ein paar Zoll weiter unter dem Trümmerhaufen hervor, aber was danach geschehen würde, wartete Amos nicht mehr ab. Mit einem Satz sprang er in das Bodenloch hinunter, wo Trithemius bereits sichtlich ungeduldig auf ihn wartete. Der Abt warf die Leiter beiseite, packte einen eisernen Hebel, der an der Stollenwand angebracht war, und legte ihn leise ächzend um. Daraufhin begannen Ketten zu rattern und mit metallischem Kreischen stieg ein runder Eisendeckel empor und verschloss das Bodenloch über ihren Köpfen.
    Rasch weiter , sagte Trithemius. Das alles hier, Falltür, Flaschenzug und Tunnel, dürfte dir ja bekannt vorkommen – der gute Kronus hat es der Einfachheit halber für seinen Fuchsbau abgekupfert .
    Was der Abt da behauptete und, vor allem, in wie herablassendem Ton er über Valentin Kronus redete, gefiel Amos ganz und gar nicht. War es nicht eher umgekehrt?, fragte er und erschrak über seine eigene Kühnheit.
    Trithemius eilte derweil den dunklen Gang entlang, und Amos schwebte hinter ihm her. Bis auf leises Keuchen und gelegentliches Ächzen blieb der alte Mann stumm. Amos begann schon zu glauben – und mehr noch zu hoffen –, dass er seine Bemerkung vielleicht überhört hätte. Denn wenn auch nur halbwegs zutraf, was er selbst und Klara sich über den Abt von Sponheim zurechtgelegt hatten, dann war Trithemius ein skrupelloser Mann, der notfalls sogar Morde in Auftrag gab, um seine Ziele zu erreichen.
    Ganz genauso wie der Tunnel unter Kronus’ Mühlhof endete auch dieser Gang unter einem senkrechten Felsschacht, der auf die Erdoberfläche zurückführte. Eine Strickleiter hing von dem

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