Ordnung ist nur das halbe Leben
toupierte ich meine mittellangen braunen Haare mit den dezenten goldenen Strähnen nach einer Vorlage aus der InStyle an, um mehr Volumen vorzutäuschen, und föhnte mit Hilfe der Rundbürste ein paar Locken hinein. Meine großen, braunen Augen schminkte ich zurückhaltend mit Lidschatten in Hellgrau und Anthrazit und mit schwarzer Wimperntusche und trug einen kirschroten Lippenstift auf. Dazu passten meine schwarze Clutch und die schwarzen Pumps mit den roten Fersenkappen.
Ich sah umwerfend aus. Auch Jens war beeindruckt, als ich mich ihm präsentierte.
»Wow«, sagte er und pfiff durch die Zähne. »Und was hat dieser Fummel wieder gekostet?«
Dieser Blödmann! Das war ja nun wirklich nicht das, was man hören wollte. Er sollte sich mit mir freuen, dass ich mein Geld nun für schöne Sachen ausgeben konnte, nachdem ich endlich vor ein paar Monaten den Ausbildungskredit abbezahlt hatte, den ich für Fortbildungen und das berufsbegleitende Fernstudium aufgenommen hatte. Aber nein! Er machte dauernd so blöde Bemerkungen über meine Klamotten. Sogar, dass ich ja ganz schön materialistisch sei, hatte er mir schon vorgeworfen. Dabei war ich gar nicht materialistisch. Ich trug nur gerne schöne Kleider. Und außerdem kaufte ich nur Schnäppchenangebote. Meistens jedenfalls. Aber das verstand er nicht.
Ausweichend sagte ich: »Es war runtergesetzt.«
»Und was heißt das in Zahlen?«
»Fünfhundert«, murmelte ich. »Und das ist ja wohl eindeutig die lohnendste Investition des Monats, oder meinst du nicht?« Ich drehte mich vor ihm.
»Ja, du siehst wirklich ganz gut aus …«, sein Blick blieb an meinem Kopf hängen, » so weit .«
»Was soll das denn heißen, so weit ?«, giftete ich.
»Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«
»Ein bisschen auftoupiert. Sollen wir?« Ich nahm meinen Mantel.
Doch er blieb stehen. »Du siehst deinem Bruder ganz schön ähnlich, weißt du das?«
Ich schnappte nach Luft. Das war die Höhe! Er wusste genau, dass er mich damit tödlich beleidigte. Wie oft hatten wir uns schon über den traditionell ungepflegten Haarschopf meines Bruders ausgelassen.
»Und du, du siehst aus wie dein Vater!«, keifte ich zurück.
Jens’ Vater hatte ein hängendes Auge wie Karl Dall. Sobald die Wörter meinen Mund verlassen hatten, merkte ich, dass ich zu weit gegangen war.
»Willst du dich etwa über die Krankheit meines Vaters lustig machen?«, fragte Jens eisig.
»Nein, nein, nein«, stammelte ich erschrocken. »Auf gar keinen Fall.«
»Er hat eine angeborene Lidmuskelschwäche. Findest du das etwa lustig?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Und vielleicht bekomme ich die selbst auch. Letztens hat mein Auge schon so gezuckt.«
»Aber der Augenarzt hat doch gemeint, dass es nur Stress ge…«
»Und jetzt sagst du so was absolut Unpassendes und wirklich Verletzendes«, unterbrach er mich.
»Es tut mir leid«, gab ich zu.
»Das sollte es auch. Und sag so was nie wieder.«
»Mach ich auch nicht.« Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Aber sag du so was wie mit meinem Bruder auch nicht noch mal.«
»Dann kämm dich ordentlich, dann brauche ich so was auch nicht sagen.« Er schaute demonstrativ auf seine alte Uhr. Schon wieder trug er nicht die, die ich ihm zur Verlobung geschenkt hatte. Einen Kommentar dazu ersparte ich mir zähneknirschend.
»Wenn wir jetzt nicht fahren, bleiben wir hier«, bestimmte Jens. »Ich komme lieber gar nicht als zu spät.«
Als ob das meine Schuld wäre, dass wir noch hier waren! Ich war stinksauer. Ich hetzte ins Badezimmer, um mir die Haare noch einmal zu bürsten, was leider mein Haarexperiment mit dem Toupieren zum Scheitern brachte. Nichts mehr mit Volumen! Ich behalf mich mit einer Spange, die meine Haare etwas in Form brachte, aber natürlich nur eine mäßig schicke Alternative war.
»Ja, so kannst du dich mit mir sehen lassen«, sagte Jens und gab mir grinsend einen Kuss. Und diese Sparkomplimente hasste ich auch. Aber das sagte ich nicht. Ich brauchte jetzt meine ganze Kraft für die Füreinander-bestimmt-Ausstrahlung, mit der wir heute die Gesellschaft bezirzen würden.
Als wir nach einer halben Stunde Fahrt durch die volle Innenstadt in der Altstadt ins Parkhaus fuhren, hatte ich den Ärger endlich verdaut und mich wieder im Griff.
»Ich bin ja so froh, dass wir erst heiraten werden«, sagte ich fröhlich.
»Wie meinst du das?«, fragte er.
»Na, bevor wir Kinder bekommen! Ich finde es viel schöner, erst zu heiraten und
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