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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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oder Erlebnisse ging.
    Ich versuchte, aus meinen Erinnerungen einen Anhaltspunkt herauszukramen, der mir verriet, wann oder warum sie ihn doch für den Falschen hielten. Es hatte bis zu Anjas Hochzeit nie eine direkte Auseinandersetzung gegeben. Wir hatten uns an Geburtstagen und zu Feiertagen besucht und meine Eltern gelegentlich zum Essen eingeladen, zu denen mein Vater immer seinen Werkzeugkasten mitbrachte, weil es irgendeine Lampe aufzuhängen oder ein Regal anzubringen gab. Aber nur, weil mein Freund kein begnadeter Heimwerker war, war das doch noch lange kein Grund, ihn zu verachten. Immerhin kannte er sich mit der Entwicklung des Baugeldzinses aus, mit Politik und den Vorkommnissen am Geißbockheim des 1. FC Köln. Er sah gut aus und hatte tadellose Manieren. Keine Ahnung, wie sie auf die Idee gekommen waren, er wäre nicht der Richtige für mich.
    Doch dann ging mir ein Licht auf, und ich musste lachen. Gerade war mir klar geworden, dass mir nichts Besseres passieren konnte, als dass meine Eltern Jens ablehnten.
    Mein erster Schwarm war in der vierten Klasse ein Junge namens Christian gewesen.
    »Sag dem Jungen, dass du ihn nett findest«, riet meine Mutter mir, nachdem ich ihr von seinen grünen Augen und seinem Skateboard vorgeschwärmt hatte. »Dann weißt du, ob er dich auch mag.«
    Was für eine selten blöde Idee! Christian mochte mich nämlich überhaupt kein bisschen, und ich wurde von ihm und seinen Freunden den Rest der Schulzeit gemieden wie die Pest. Selbst meine Freundin Claudia musste eine Zeit lang auf Abstand gehen, um nicht selber in den Strudel der Hänseleien zu geraten, denen ich mich nun zusätzlich zu den Witzen über meinen Namen ausgesetzt sah.
    Der nächste falsche Ratschlag kam in dem Sommer, in dem ich fünfzehn wurde. Unsere Nachbarn, die Engels, hatten einen Neffen zu Besuch. Er hieß Karsten und wohnte für ein paar Wochen auf dem Hof und half auf den Feldern, die die Engels’ damals noch bewirtschafteten. Meine Eltern meinten, er sei wirklich ein netter Junge. Ich bezweifelte das, auch wenn ich ihn bisher nur ein paarmal von Weitem gesehen hatte, wenn er am Rhein mit Steinen nach den Wildgänsen geworfen hatte.
    Meine Eltern behaupteten, ach, das würden alle Jungs mal machen, das würde nichts heißen. Und als sie sagten, ich solle was mit ihm unternehmen, und mir Geld fürs Kino gaben, hatten sie mich überzeugt. Vielleicht war er ja wirklich ein netter Junge. Und außerdem war das die Gelegenheit für mich, meine neue, superfantastische rote Handtasche mit den Glitzersteinen auszuführen, die mir meine Tante Marianne geschenkt hatte.
    Karsten fand die Idee mit dem Kino auch gut. Zumindest sagte er: »Geht klar.« Karsten überredete mich, schwarz mit der Bahn zu fahren. »Das Geld können wir besser anlegen«, sagte er und spuckte einen Kaugummi auf den leeren Sitz neben ihm.
    Ich schwitzte Blut und Wasser und immer, wenn die Türen aufgingen, durch die die Kontrolleure einfach hereinspazieren konnten, sah ich das letzte Stündlein meines guten Rufes und meines Ersparten schlagen.
    Wie durch ein Wunder wurden wir nicht erwischt. Bevor das Kino losging, wollte sich Karsten Zigaretten und Bier an einem Kiosk kaufen, aber der Büdchenbesitzer gab ihm aufgrund seines jugendlichen Alters nichts. Also gingen wir in einen Supermarkt. Ich dachte, wir würden uns da mit Gummibärchen eindecken, weil die im Kino teurer waren.
    Ich stand vor dem Süßigkeitenregal und überlegte noch, ob ich M & Ms, Rolo oder Weingummi kaufen sollte, als ich sah, wie Karsten aus dem Laden lief. Ich rannte ihm hinterher, genau wie ein Verkäufer, der ihn »Freundchen« nannte und ihn festhielt. Karsten rangelte einen Moment mit ihm und fiel dabei gegen mich, meine Tasche glitt mir aus der Hand, es war ein einziges Durcheinander an Armen und Beinen. Dann kam die Polizei. Karsten grinste siegesgewiss, ich war total nervös angesichts der Tatsache, dass ich von echten Polizisten in echten Uniformen befragt wurde. Weil ich so rot geworden war, wollten die Polizisten auch in meine rote Glitzerhandtasche schauen. Darin fanden sie die geklauten Zigaretten und eine kleine Flasche Schnaps. Zum Glück deckte sich meine Aussage mit der des Verkäufers, dass ich gar nicht in der Nähe der Regale mit diesen Sachen gewesen war. Außerdem fanden die Polizisten nach kurzer Zeit heraus, dass Karsten nicht das erste Mal beim Ladendiebstahl erwischt worden war, was ihn nicht davon abhielt, mir hinterher zu drohen: »Du

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