Orphan 2 Juwel meines Herzens
konnte... Bestimmt besaß sie eine ganze Legion von Verehrern, die vor Miss Kents Haus Schlange standen. „Was hat Miss Kent Ihnen denn für mich aufgetragen? “
„Tatsächlich handelt es sich um einen... kleinen Gefallen. “ Annie spürte, dass er sich von ihr zurückzog. Wäre Sie doch bloß nicht wegen Miss Kent hier... sondern einfach, um einen Spaziergang mit ihm zu unternehmen... „Worum geht es dabei? “
„Nun, Miss Kent glaubt, dass Lord Bryden nicht der Mann ist, nach dem Sie suchen“, erklärte sie offen heraus. »Sie schwört es! Der arme Mann sitzt hinter Gittern, und der echte Schatten kommt davon. Miss Kent glaubt, der Dieb wusste, dass Seine Lordschaft ihm das Handwerk legen wollte. Und nun wird der Schatten sich sein Leben lang ins Fäustchen lachen, während Lord Bryden für seine Verbrechen büßen muss. “
Darum geht es hier also, dachte Turner. Ganz offensichtlich pflegten Miss Kent und Bryden ein intimes Verhältnis miteinander - ganz wie die Fakten es nach ihrem nächtlichen Besuch bei ihm nahe gelegt hatten. Nein, er war nicht erstaunt. Sie hatte ja gestern sogar darauf bestanden, den Earl in Newgate zu besuchen. Die beiden schienen aneinander vor ihrem Zusammentreffen bei den Chadwicks tat-sächlich nicht gekannt zu haben. Turner hatte das natürlich überprüft. Dennoch war er inzwischen vollkommen sicher, dass sie Bryden in jener Nacht zur Flucht verholfen hatte. Dass zwei so unterschiedliche Menschen sich derart zueinander hingezogen fühlen konnten... wirklich bemerkenswert. Lord Bryden war selbstbewusst, offen und hatte einmal in dem Huf gestanden, gleich mehrere von Londons bewundertsten Schönheiten verführt zu haben. Miss Kent war nicht gerade die Frau, mit der er sich üblicherweise umgab. Sie war ein altjüngferlicher verschüchterter Krüppel aus der Gosse und würde niemals vollkommen in die Londoner Gesellschaft aufgenommen werden, in der sie sich jetzt bewegte. Hatte Bryden wirklich etwas für sie übrig, oder benutzte er sie lediglich?
„Und wie kann Miss Kent sich seiner Unschuld so sicher sein? “ fragte er schließlich nach einigem Überlegen.
„Ich weiß es nicht genau“, gestand Annie „Das wollte sie mir nicht sagen. Und ich kenne Lord Bryden nicht gut genug. Vielleicht hat sie ja auch Unrecht. Sie haben doch gesehen, wie er auf Sie schoss. Weshalb hätte er so etwas Scheußliches tun sollen, wenn er nicht der Schatten ist? “
Turner schwieg. Er war bewusstlos gewesen, als die Kugel ihn traf. Darauf hatte ihn ja auch schon Bryden selbst nachdrücklich hingewiesen.
„Aber eins schwör ich Ihnen: Es gibt keine feinere Dame als Miss Kent“, fuhr sie eifrig fort. „Anders als alle anderen Menschen, die ich je getroffen habe - und das waren so einige. “ Sie warf dem Inspector einen herausfordernden Blick zu. Sollte er es nur wagen, eine böse Bemerkung über ihr Vorleben zu machen... „Sie hat ihre Kindheit mit dem schlimmsten Abschaum verbracht und später mit den vornehmsten Pinkeln der Stadt. War sogar einmal selbst im Gefängnis. Ja, da kommt man natürlich nicht drauf, wenn man sie jetzt sieht. Deshalb weiß sie auch, dass das Äußere eines Menschen nicht viel über ihn verrät. Da muss man schon tiefer blicken. Und wenn sie sagt, Lord Bryden ist kein Mörder, ist das so. Sie sollen ihn ja nicht einfach wieder auf die Straße werfen, und damit hat’s sich“, versicherte sie eilig. „Es war ja schon eigenartig, dass er mitten in der Nacht bei Lord Whitaker auf taucht und dann auch noch auf Sie schießt, während Sie hilflos am Boden liegen. Trotzdem, Miss Charlotte meint, dass Sie den echten Schatten nie kriegen werden, falls Lord Bryden gehängt wird. Als Mann des Rechts und der Gerechtigkeit müssen Sie doch dafür sorgen, dass der Richtige bestraft wird. Sonst wird die arme Seele Sie bestimmt bis ins Grab verfolgen. “
Turner blieb erst einmal stumm und tat, als wäre es ihm niemals in den Sinn gekommen, dass Bryden unschuldig sein könnte.
Dabei quälte ihn genau diese Überlegung, seit er den Earl in Newgate aufgesucht hatte.
Es war kein Geheimnis, dass Turner als exzellenter Detektiv galt. Ihm entging kaum je auch nur eine Kleinigkeit, ganz gleich, ob er nur einen Tatort untersuchte oder einen Zeugen befragte. Außerdem hielt er stets alles genau fest, was er herausgefunden hatte, ohne die Fakten auszuschmücken oder zu verändern, wie so viele andere Polizisten es taten. Darüber hinaus war er ein Meister des logischen Denkens,
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