Orphan 2 Juwel meines Herzens
“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand des Mordes angeklagt wird, mit seiner Stimme als einzigem Beweis“, wehrte Lord Beckett verächtlich ab und fuhr sich über den grauen Bart. „Außerdem kann man die auch verstellen. “ „Wie dem auch sei, jedenfalls ist der Kerl davongekommen. “ Lord Chadwick nahm einen großen Schluck Wein zur Beruhigung, schließlich war er gestern nur einen Schritt vom Tode entfernt gewesen. „Und die Polizei bringt weiter nichts zu Stande, als darauf zu warten, dass er wieder zuschlägt. “
„Miss Kent scheint keine sonderlich brauchbare Zeugin gewesen zu sein“, stellte Lord Reynolds missbilligend fest. „Kein Wunder, immerhin ist sie ja auch als die Samariterin der Londoner Unterwelt bekannt. “
„In der fließt eben schlechtes Blut“, bestätigte Lord Shelton. „Da kann man machen, was man will, es ändert eben nichts, ganz gleich, wie viel Geld plötzlich dahinter steckt. “
„Sie behaupten, Miss Kent hätte schlechtes Blut, weil Sie versucht, den weniger Glücklichen zu helfen? “ fragte Harrison ruhig.
„Natürlich nicht“, erwiderte Shelton. „Viele Damen sind bekannt für ihre Wohltätigkeit - so übrigens auch meine Gemahlin. Aber sie arbeiten für bekannte Einrichtungen von erstklassigem Ruf, indem sie zum Beispiel Handarbeiten herstellen, die dann auf Basaren verkauft werden. Oder aber sie bitten ihre Männer um Spenden. “
„Miss Kent lebt mit Dieben und Huren unter einem Dach“, fügte Reynolds hinzu. „Keine anständige Frau wäre bereit, das eigene Haus mit dem schlimmsten Gesindel zu teilen. Es ist schlicht schockierend. Völlig unbegreiflich, weshalb Lord Redmond dieses Benehmen duldet. “
„Nun, sie ist eben eine der ihren. “ Beckett verzog verächtlich den Mund. „Alle Mündel des Marquess waren früher selbst Diebe und Huren - und saßen auch allesamt mehr oder weniger lange im Gefängnis für ihre Schandtaten. Redmond hat zwar sein Bestes getan, ihnen einen anständigen Ruf zu verschaffen, aber aus einem Muli wird eben kein Vollblut. Was für ein Narr der Mann doch ist! “ Harrison betrachtete das Glas in der Hand und tat unbeteiligt. Er wäre nie darauf gekommen, dass Miss Kent selbst einmal eine Diebin gewesen war. Daher also ihr Vortrag über die Grauen des Gefängnislebens und die Segnungen eines ehrbaren Lebens. Dass sie als kleines Mädchen hinter Gittern gesessen haben sollte, berührte ihn auf sonderbare Weise. Selbstverständlich wusste er, dass in England Kinder regelmäßig zu Haftstrafen verurteilt wurden. Bisher allerdings hatte er dabei stets an irgendwelche gewieften Knäblein gedacht, die es nicht besser verdient hatten. Diese Beschreibung wollte allerdings so gar nicht auf Miss Kent passen.
„Wahrscheinlich steckt sie mit dem Schatten unter einer. Decke“, überlegte Shelton laut. „Wenn Lady Chadwicks, Dienerin die beiden nicht überrascht hätte, wären sie bestimmt zusammen mit den gesamten Juwelen verschwunden. “
„Das ist doch einfach lächerlich“, widersprach Chadwick. „Miss Kent war schließlich ein geladener Gast bei unserem Dinner und ist noch dazu ein Mündel Lord Redmonds. “
„Finden Sie es denn gar nicht sonderbar, dass sie sich ins Schlafgemach Ihrer Gemahlin schleicht und dort ausgerechnet auf den Schatten trifft, während alle anderen unten beim Essen sitzen? “
„Aber der Schatten ist doch bekannt dafür, dass er in Häuser einbricht, deren Eigentümer bei seiner Tat anwesend sind! “ rief Tony. „Er schleicht sich stets unbemerkt hinein und wieder hinaus. “
„Trotzdem, was machte sie denn da oben, obwohl die ganze Gesellschaft unten zu Tisch saß? “ Beckett verengte die Augen zu Schlitzen. „Ich finde das verdächtig, wenn Sie mich fragen. “
„Miss Kent hatte meiner Gemahlin mitgeteilt, dass sie sich nicht wohl fühle, und darum gebeten, sie für einige Minuten zu entschuldigen“, erzählte Chadwick. „Weil alle anderen Schlafzimmer von übernachtenden Gästen belegt waren, bot ihr Lady Chadwick das eigene an. “
„Und dort stolpert sie rein zufällig über den Schatten? “ Shelton schüttelte den Kopf. „Nein, nein, die beiden waren oben verabredet, glauben Sie mir. Die wollten sie zusammen ausrauben. “
„Aber warum um alles in der Welt sollte sie die Juwelen der Chadwicks stehlen wollen? “ fragte Beckett. „Redmond hat genug Geld und sorgt für sie wie für alle seine Kinder. “
„Der Drang zum Stehlen liegt eben im Blut“, entschied
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