Ort des Grauens
versichern.«
Hal beugte sich vor und spähte in die Schachtel, die Lee ihm entgegenhielt. »Sieht ziemlich gut aus. Im allgemeinen ist's doch so, daß sie dir bei jeder Pizza, die sie liefern, eher den Service verkaufen als gutes Essen. Aber diese hier sieht überhaupt nicht schlecht aus, man kann sogar sehen, wo die Pizza aufhört und der Karton anfängt.«
Lee riß den Deckel der Schachtel ab, legte ihn auf den Couchtisch und plazierte zwei Stücke Pizza auf dem Behelfsteller. »Da.«
»Du willst mir nicht die Hälfte abgeben?«
»Was ist mit dem Cholesterin?«
»Zur Hölle, Cholesterin ist doch nur ein bißchen tierisches Fett, es ist nicht arsenhaltig.«
Als das starke Herz der Frau aufhörte zu schlagen, zog sich Candy von ihr zurück. Obwohl noch immer Blut aus ihrer zerrissenen Kehle sickerte, rührte er keinen Tropfen mehr an. Der Gedanke, aus einer Leiche zu trinken, erfüllte ihnmit Übelkeit. Er erinnerte sic h an die Katzen seiner Schwestern, die ihresgleichen fraßen, wenn eine aus dem Rudel gestorben war, und zog eine Grimasse.
Gerade als er seine feuchten Lippen von ihrer Kehle hob, hörte er, wie sich hinten im Haus eine Tür öffnete. Schritte näherten sich.
Candy ging rasch um den Tisch herum, um ihn und die tote Frau zwischen sich und der Tür zum Eßzimmer zu haben. Dank der Vision, die er dem Album des Dummkopfs entnommen hatte, wußte Candy, daß er mit Clint gewiß nicht so leicht fertig werden würde wie mit den anderen Leuten. Deshalb zog er es vor, ein wenig Distanz zwischen ihn und sich zu legen, sich selbst ein wenig Zeit zu lassen, seinen Gegner zu taxieren, statt den Kerl mit seinem Angriff zu überraschen.
Clint tauchte in der Türöffnung auf. Abgesehen von dem, was er anhatte -graue Freizeithose, marineblauer Blazer, kastanienbrauner Pullover mit V-Ausschnitt, weißes Hemd -entsprach er ganz der psychischen Impression, die er auf dem Album hinterlassen hatte. Er mußte seine Zeit mit Gewichtheben verbracht haben. Sein Haar war dicht, schwarz und streng aus der Stirn gekämmt. Er hatte ein Gesicht, das aus Granit gemeißelt schien, und einen harten Blick.
Erregt von dem Mord, der hinter ihm lag, den Geschmack des Blutes immer noch im Mund, beobachtete Candy den Mann mit Interesse. Es gab eine Menge Möglichkeiten, wie es jetzt weitergehen konnte, und keine davon war langwei lig. Clint reagierte nicht, wie Candy das erwartet hatte. Erzeigte keine Überraschung, als er die tote Frau auf dem Tisch liegen sah, er schien nicht von Grauen erfüllt, nicht erschüttert über ihren Verlust. Nicht einmal wütend schien er zu sein. Etwas Grundlegendes veränderte sich in seinem steinernen Gesicht, wenn auch unter der Oberfläche, so wie sich tektonische Platten unter dem Mantel der Erdkruste verschoben. Schließlich schaute er Candy in die Augen und sagte: »Sie.« Die Andeutung des Wiedererkennens in diesem einen Wort war beunruhigend. Einen Moment lang konnte sich Candy nicht vorstellen, woher dieser Mann ihn hätte kennen sollen - dann fiel ihm Thomas ein. Die Möglichkeit, daß Thomas diesen Mann - und vielleicht auch anderen -von Candy erzählt hatte, war die furchterregendste Wendung, die sein Leben seit dem Tod seiner Mutter genommen hatte. Sein Dienst in Gottes Armee von Rächern war eine strikte Privatangelegenheit, ein Geheimnis, das niemals aus der Pollard-Familie hatte hinausdringen sollen.
Seine Mutter hatte ihm erklärt, es sei ganz in Ordnung, stolz darauf zu sein, Gottes Arbeit zu tun, er werde aber mit Sicherheit straucheln, wenn er vor anderen mit der göttlichen Gnade prahlte.
»Satan«, hatte sie gesagt, »ist ständig auf der Suche nach den Namen der Leutnants in Gottes Armee -das ist das, was du bist -, und wenn er sie findet, zerstört er sie mit Hilfe von Würmern, die sie von innen her auffressen, Würmer, die so fett wie Schlangen sind, und dann läßt er noch Feuer auf sie regnen. Wenn du das Geheimnis nicht für dich behalten kannst,wirst du sterben und wegen deiner großen Klappe in die Hölle fahren.«
»Candy«, sagte Clint.
Daß er ihn beim Namen nannte, beseitigte jeden Zweifel. Das Geheimnis war nicht in der Familie geblieben, und Candy steckte in den größten Schwierigkeiten, obwohl er das Schweigegelübde nicht selbst gebrochen hatte.
Er stellte sich vor, daß Satan just in diesem Moment an irgendeinem dunklen, dampfenden Ort den Kopf geneigt und gefragt hatte: »Wer? Was haben Sie gesagt? Wie war sein Name? Candy? Candy wer?«
Wütend und
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