orwell,_george_-_tage_in_burma
Trinken konnte ihn jetzt ablenken. Die Vorstellung von Elizabeth in Verralls Armen verfolgte ihn wie eine Neuralgie oder Ohrenschmerzen. Jeden Augenblick konnte es ihn überkommen, lebendig und abstoßend, verwirrte seine Gedanken, riß ihn vom Rande des Schlafes, verwandelte die Speisen in seinem Mund in Staub. Zu Zeiten floh er in wilde Wutanfälle, und einmal schlug er sogar Ko S’la. Schlimmer als alles waren die Einzelheiten - die immer schmutzigen Einzelheiten - , in denen die Szene in seiner Phantasie erschien. Gerade die Vollkommenheit der Einzelheiten schien zu beweisen, daß sie stimmten.
Gibt es etwas Unwürdigeres, Entehrenderes, als eine Frau zu begehren, die man nie bekommen wird? Während all dieser Wochen gab es in Florys Kopf kaum einen Gedanken, der nicht mörderisch od er obszön war. Das ist die übliche Wirkung der Eifersucht. Einst hatte er Elizabeth seelisch, ja mit seinem Gefühl geliebt und sich ihr Mitgefühl mehr gewünscht als ihre Zärtlichkeit; jetzt, da er sie verloren hatte, wurde er von der niedrigsten körperlichen Begierde gefoltert. Er idealisierte sie nicht einmal mehr. Er sah sie jetzt fast so, wie sie war - dumm, snobbisch, herzlos - und es änderte nichts an seinem Verlangen nach ihr. Ändert es jemals etwas? Wenn er nachts wach lag, auf seinem Bett, das man wegen der Kühle vor das Zelt gestellt hatte, und in das samtige Dunkel starrte, aus dem man manchmal einen Gyi bellen hörte, dann haßte er sich wegen der Bilder, die in ihm aufstiegen. Er war so niedrig, dieser Neid auf den besseren Mann, der ihn geschlagen hatte. Denn es war nur Neid - sogar Eifersucht war ein zu guter Name dafür. Mit welchem Recht war er denn eifersüchtig? Er hatte sich einem Mädchen angeboten, das zu jung und zu hübsch für ihn war - und es hatte ihm - mit Recht - einen Korb gegeben. Er hatte die Abfuhr bekommen, die er verdiente. Auch gab es keinen Einspruch gegen diese Entscheidung; nichts würde ihn je wieder jung machen oder sein Muttermal oder seine zehn Jahre der einsamen Ausschweifungen ungeschehen machen. Er konnte nur dastehen und zusehen, wie der bessere Mann sie nahm, und ihn beneiden wie - aber der Vergleich war nicht einmal erwähnenswert. Neid ist etwas Grauenhaftes, insofern anders als alle anderen Arten des Leidens, als man ihn nicht bemänteln, ihn nicht zur Tragödie erheben ka nn. Er ist mehr als nur qualvoll, er ist widerlich.
Aber trafen seine Vermutungen überhaupt zu? War Verrall wirklich Elizabeths Liebhaber geworden? Es läßt sich mit Gewißheit nicht sagen, aber im großen und ganzen sprach alles dagegen, denn in einem Ort wie Kyauktada hätte so etwas nicht verborgen bleiben können. Mrs. Lackersteen hätte es wahrscheinlich erraten, auch wenn die anderen nichts geahnt hätten. Eines war jedoch sicher, nämlich daß Verrall bisher nicht um Elizabeths Hand angehalten hatte. Eine Woc he vergingt zwei Wochen, drei Wochen; drei Wochen sind eine sehr lange Zeit in einer kleinen indischen Station. Verrall und Elizabeth ritten jeden Nachmittag zusammen aus, tanzten jeden Abend miteinander; doch Verrall hatte das Lackersteensche Haus noch nicht einmal betreten. Natürlich gab es endlosen Klatsch über Elizabeth. Alle Orientalen der Stadt hielten es für selbstverständlich, daß sie Verralls Mätresse war. U Po Kyins Version (und im wesentlichen hatte er meistens recht, wenn auch nicht in den Einze lheiten) war, daß Elizabeth Florys Konkubine gewesen sei und ihn wegen Verrall verlassen habe, der ihr mehr bezahlen konnte. Auch Ellis erfand Geschichten über Elizabeth, bei denen Mr. Macgregor sich krümmte. Mrs. Lackersteen als einer Verwandten kamen diese Skandalgeschichten nicht zu Ohren, aber sie wurde nervös. Jeden Abend, wenn Elizabeth vom Reiten nach Hause kam, trat sie ihr voller Hoffnung entgegen und erwartete ein »Ach, Tante! Stell dir vor!« -- und dann die herrliche Nachricht. Aber die Nachricht kam nie, und wie sorgfältig sie auch Elizabeths Gesicht beobachtete, es ließ sich nichts erraten.
Als drei Wochen verstrichen waren, wurde Mrs. Lackersteen gereizt und schließlich etwas ungehalten. Der Gedanke an ihren Gatten, allein - oder vielmehr nicht allein - in seinem Lager, beunruhigte sie. Schließlich hatte sie ihn ins Lager geschickt, um Elizabeth ihre Chance bei Verrall zu lassen (nicht daß Mrs. Lackersteen es so ordinär ausgedrückt hätte). Eines Abends begann sie, in ihrer versteckten Art, Elizabeth zu belehren und zu drängen. Das Gespräch bestand
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