orwell,_george_-_tage_in_burma
Mond hatte sich verzogen. Dicht über ihnen, gerade sichtbar, wälzten sich schwarze Wolken wie eine Hundemeute ostwärts. Ein fast kalter Wind wehte vom Abhang herunter und trieb eine Staubwolke und feinen Wasserdampf vor sich her. Plötzlich roch es intensiv nach Feuchtigkeit. Der Wind belebte sich, die Bäume rauschten, begannen wütend aneinanderzuschlagen, und der große Jasminbaum am Tennisplatz ließ einen Nebel von undeutlich sichtbaren Blüten regnen. Alle drei Männer wandten sich um und eilten, ein Obdach zu suchen, die Orientalen in ihre Häuser, Flory in den Club. Der Regen hatte eingesetzt. XXIII
Am nächsten Tag war die Stadt stiller als ein Bischofssitz am Montag morgen, wie gewöhnlich nach einem Aufstand . Bis auf die Handvoll Gefangene hatte jeder, der möglicherweise mit dem Sturm auf den Club etwas zu tun haben konnte, ein hieb- und stichfestes Alibi. Der Clubgarten sah so aus, als wäre eine Büffelherde darüber gestampft, doch die Häuser waren nicht geplündert worden, und unter den Europäern waren keine neuen Verluste zu verzeichnen, außer daß Mr. Lackersteen, nachdem alles vorüber war, stockbetrunken unter dem Billardtisch gefunden worden war, wohin er sich mit einer Flasche Whisky zurückgezogen hatte. Westfield und Verrall kamen frühmorgens zurück und brachten Maxwells Mörder als Häftlinge mit; jedenfalls brachten sie zwei Leute, die alsbald für den Mord an Maxwell gehängt würden. Als Westfield vom Aufstand hörte, war er düster, aber resigniert. Wiederum war es so gekommen ein waschechter Aufstand, und er nicht dabei, um ihn zu unterdrücken! Das Schicksal schien zu wollen, daß er nie zum Töten kam. Deprimierend, deprimierend. Verralls einziger Kommentar war, daß es »verdammt frech« von Flory, einem Zivilisten, gewesen sei, der Militärpolizei Befehle zu erteilen.
Inzwischen regnete es fast ohne Unterlaß. Sobald er aufwachte und den Regen aufs Dach prasseln hörte, zog sich Flory an und eilte hinaus, Flo hinter ihm her. Als er von den Häusern nicht mehr zu se hen war, zog er sich aus und ließ den Regen seinen nackten Körper herunterströmen. Zu seiner Überraschung entdeckte er, daß er vom gestrigen Abend mit blauen Flecken bedeckt war; aber der Regen hatte innerhalb von drei Minuten jede Spur von Hitzepickeln ab gewaschen. Die heilende Kraft des Regenwassers ist etwas Wundervolles. Flory ging zu Dr. Veraswamis Haus, in seinen Schuhen gluckste das Wasser, und von der Krempe seines Teraz’ - Hutes flossen ihm Wasserströme den Hals herunter. Der Himmel war bleiern, und unzählige Sturmwirbel jagten einander auf dem Platz wie Kavallerieschwadronen. Burmanen kamen vorüber, trotz ihrer großen hölzernen Hüte strömten ihre Körper von Wasser wie die bronzenen Götter in den Brunnen. Ein Netzwerk von Bächen hatte bereits die Steine der Straße blankgewaschen. Der Doktor war gerade nach Hause gekommen, als Flory ankam, und schüttelte einen nassen Schirm über der Verandabrüstung aus. Er begrüßte Flory aufgeregt.
»Kommen Sie herauf, Mr. Flory, kommen Sie sofort herauf! Sie kommen gerade richtig. Ich wollte gerade eine Flasche Old Tommy Gin aufmachen. Kommen Sie rauf und lassen Sie mich auf Ihre Gesundheit trinken, auf den Retter von Kyauktada!«
Sie hatten ein langes Gespräch. Der Doktor war in Triumphstimmung. Anscheinend waren auch die Geschehnisse der letzten Nacht, seine Schwierigkeiten auf fast wunderbare Weise gelöst. U Po Kyins Ränke waren zunichte gemacht. Der Doktor war ihm nicht mehr auf Gnade und Ungnade ausgeliefert - es war sogar umgekehrt. Der Doktor setzte es auseinander:
»Sehen Sie, mein Freund, dieser Aufruhr - oder vielmehr Ihr tapferes Vorgehen - war in U Po Kyins Programm überhaupt nicht vorgesehen. Er hatte die sogenannte Rebellion angezettelt und hatte den Ruhm, sie zu unterdrücken, und seiner Berechnung nach mußte ihm jeder weitere Ausbruch nur noch mehr zugute kommen. Ich habe gehört, daß er bei der Nachricht von Mr. Maxwells Tod eine Freude an den Tag legte, die geradezu - « der Doktor legte Daumen und Zeigefinger zusammen - »wie heißt das Wort, das ich suche?«
»Obszön?«
»Ja, obszön. Es heißt, daß er tatsächlich zu tanzen versuchte - können Sie sich so ein widerliches Schauspiel vorstellen? - und ausgerufen hat: ›Jetzt werden sie wenigstens meine Rebellion ernst nehmen!‹ Das ist seine Achtung vor einem Menschenleben. Aber jetzt ist es mit seinem Triumph zu Ende. Der Aufstand hat ihm ein Bein
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