orwell,_george_-_tage_in_burma
er anfing, die Möbel zu zerschlagen und Flaschen nach den Bildern zu werfen. Diese stumpfsinnigen versoffenen, geistlosen Mastschweine! War es möglich, daß sie Woche für Woche, Jahr für Jahr so weitermachten, Wort für Wort dasselbe bösartige dumme Zeug wiederholten, wie eine Parodie auf einen fünftklassigen Bericht in Blackwood’s Magazine? Würde keiner von ihnen je daran denken, etwas Neues zu sagen? Ach, was für ein Ort, was für Leute! Was ist das für eine Zivilisation, diese unsere gottlose Zivilisation, die sich auf Whisky, Blackwood’s und den ›Bonzo‹- Bildern gründet! Gott sei uns gnädig, denn wir alle gehören dazu.
Flory sagte nichts von alledem, und es kostete ihn einige Mühe, es nicht auf seinem Gesicht zu zeigen. Er stand neben seinem Stuhl, ein bißchen seitwärts von den anderen, mit dem halben Lächeln eines Menschen, der sich seiner Beliebtheit nie ganz sicher ist.
»Ich fürchte, ich muß gehen«, sagte er »Ich muß leider vor dem Frühstück noch einiges erledigen.«
»Bleib und trink noch einen, alter Junge«, sagte Westfield. »Es ist noch früh am Morgen. Trink einen Gin. Das macht Appetit.«
»Nein, danke, ich muß gehen. Komm, Flo. Wiedersehn, Mrs. Lackersteen. Wiedersehn allerseits.«
»Booker Washington, der Niggerkumpel, ab«, sagte Ellis, als Flory gegangen war. Man konnte sich darauf verlassen, daß Ellis einem Hinausgehenden etwas Unangenehmes nachsagte. »Geht vermutlich zu Schwammischlammi. Oder hat sich abgesetzt, damit er nicht eine Runde ausgeben muß.«
»Oh, er ist kein schlechter Kerl«, sagte Westfield. »Führt manchmal Bolschewikenreden. Ich glaube, er meint es nur halb so schlimm.«
»O ja, ein sehr guter Kerl, natürlich«, sagte Mr. Macgregor. Jeder Europäer in Indien ist ex officio, oder vielmehr ex colore, ein guter Kerl, solange er nicht etwas ganz Unerhörtes getan hat. Es ist ein Ehrenrang.
»Er ist ein bißchen zu sehr Bolschewik für meinen Geschmack. Ich kann einen Mann, der sich mit den Eingeborenen gemein macht, nicht ausstehen. Sollte mich nicht wundern, wenn er nicht selber einen Teerspritzer abbekommen hätte. Das würde das schwarze Mal in seinem Gesicht erklären. Buntscheckig. Und er sieht wie ein Gelbbauch aus mit diesem schwarzen Haar und der zitronenfarbigen Haut.«
Es wurde flüchtig über Flory geklatscht, aber nicht lange, weil Mr. Macgregor Klatsch nicht leiden konnte. Die Europäer blieben noch für eine Runde Drinks im Club. Mr. Macgregor erzählte seine Anekdote über Prome, die er in fast jedem Zusammenhang anbringen konnte. Und dann wandte sich das Gespräch wieder dem alten, nie seinen Reiz verlierenden Thema zu - der Unverschämtheit der Eingeborenen, der Nachlässigkeit der Regierung, den lieben vergangenen Tagen, als britische Raj noch britische Raj war, und bitte geben Sie dem Überbringer fünfzehn Peitschenhiebe. Diesen Gegenstand ließ man nie lange ruhen, zum Teil wegen Ellis’ Verranntheit. Im übrigen konnte man den Europäern einen großen Teil ihrer Verbitterung verzeihen. Unter Orientalen zu leben und zu arbeiten hätte die Gemütsruhe eines Heiligen ins Wanken gebracht. Und sie alle, besonders die Beamten, wußten, was es heißt, gefoppt und beleidigt zu werden. Fast täglich, wenn Westfield oder Mr. Macgregor oder auch Maxwell die Straße entlang gingen, verhöhnten sie die Jungen von der Höheren Schule mit ihren jungen, gelben Gesichtern - Gesichtern glatt wie Goldstücke und voll aufre izender Verachtung, die von Natur aus im mongolischen Gesicht liegt - verhöhnten sie und lachten zuweilen mit Hyänengeheul hinter ihnen her. Das Leben der angloindischen Beamten ist kein Honiglecken. In ihren Lagern ohne Komfort, in schwülen Büros, in düst eren Herbergen, in denen es nach Staub und Erdöl riecht, muß man ihnen vielleicht das Recht zugestehen, ein bißchen unliebenswürdig zu sein.
Es ging jetzt auf zehn und war unerträglich heiß. Flache, klare Schweißtropfen standen auf allen Gesichtern und auf den nackten Unterarmen der Männer. Auf dem Rücken von Mr. Macgregors seidenem Sakko wurde ein feuchter Fleck immer größer. Die Glut draußen schien irgendwie durch die grünjalousierten Fenster hereinzusickern und verursachte Augenschmerzen und eine Dumpfhe it im Kopf. Jeder dachte mit Unbehagen an das schwer verdauliche Frühstück und an die tödlich langen Stunden vor ihnen. Mr. Macgregor stand mit einem Seufzer auf und rückte seine Brille zurecht, die auf seiner schweißnassen Nase
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