orwell,_george_-_tage_in_burma
Schnepfenjagd. Schnepfen gab es unzählige, in Myriaden, und Wildgänse in Scharen, die mit einem Dröhnen, als führe ein Güterzug über eine Eisenbrücke, von dem Weiher aufflogen. Der reifende Reis, brusthoch und gelb, sah wie Weizen aus. Die Burmanen gingen mit vermummtem Kopf und die Arme über der Brust verschränkt an die Arbeit, ihre Gesichter waren gelb und durchfroren. Morgens marschierte man durch nebelige, uneinheitliche Wildnisse, über Lichtungen mit durchnäßtem, beinahe englischem Gras und kahlen Bäumen, auf deren oberen Zweigen Affen kauerten und auf die Sonne warteten. Wenn man abends die kalten Wege entlang zurück ins Lager ging, begegnete man Büffelherden, die von den Jungen heimwärts getrieben wurden, und ihre riesigen Hörner ragten aus dem Nebel wie Halbmonde. Man hatte drei Decken auf dem Bett, und Wildpasteten statt der ewigen Hühner. Nach dem Essen saß man auf einem Baumstamm an dem großen Lagerfeuer, trank Bier und sprach über die Jagd. Die Flammen tanzten wie die roten Beeren der Stechpalme und warfen einen Lichtkreis über den Rand, an dem Diener und Kulis hockten, zu schüchtern, um sich unter die weißen Männer zu mischen, und doch möglichst nah ans Feuer herankommend wie Hunde. Wenn man im Bett lag, konnte man den Tau wie starken, aber sanften Regen von den Bäumen tropfen hören. Es war ein gutes Leben, solange man jung war und weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit denken mußte.
Flory war vierundzwanzig und sollte auf Heimaturlaub gehen, als der Krieg ausbrach. Er hatte sich vom Militärdienst gedrückt, was damals leicht war und das Natürliche zu sein schien. Die Zivilisten in Burma hatten die tröstliche Theorie, »die Stellung halten« sei der wahre Patriotismus; es gab sogar eine heimliche Feindseligkeit gegen die Männer, die ihre Stellung aufgaben, um in die Armee einzutreten. In Wirklichkeit hatte Flory sich vor dem Krieg gedrückt, weil der Osten ihn schon verdorben hatte und er seinen Whisky, seine Diener und seine burmanischen Mädchen nicht mit der Langeweile des Exerzierplatzes und der Anstrengung grausamer Märsche vertauschen wollte. Der Krieg rollte weiter wie ein Gewitter jenseits des Horizontes. Das heiße, zerzauste Land, jeder Gefahr entrückt, gab einem ein Gefühl der Einsamkeit, der Vergessenheit. Flory begann gierig zu lesen und lernte in Büchern zu leben, wenn das Leben langweilig war. Er wur de erwachsen, war der knabenhaften Vergnügungen müde und lernte fast nolens volens selbst zu denken.
Er feierte seinen siebenundzwanzigsten Geburtstag im Krankenhaus, von Kopf bis Fuß mit häßlichen Wunden bedeckt, die man Schmutzausschlag nannte, die aber wahrscheinlich vom Whisky und schlechten Essen stammten. Sie hinterließen kleine Narben auf seiner Haut, die erst nach zwei Jahren verschwanden. Ganz plötzlich begann er sehr viel älter auszusehen und sich zu fühlen. Seine Jugend war vorbei. Acht Jahre Leben im Osten, Fieber, Einsamkeit und zeitweises Trinken hatten ihn gezeichnet.
Seitdem war jedes Jahr einsamer und bitterer gewesen als das vorige. Was jetzt im Zentrum all seiner Gedanken saß und alles vergiftete, war der immer bitterere Haß auf die ihn umgebende Atmosphäre von Imperialismus. Denn während sein Gehirn sich entwickelte - man kann sein Gehirn nicht hindern, sich zu entwickeln, und es ist eine der Tragödien der Halbgebildeten, daß sie sich spät entwickeln, wenn sie sich schon auf eine falsche Lebensweise festgelegt haben - , ging ihm die Wahrheit über die Engländer und ihr Empire auf. Das indische Empire ist eine Gewaltherrschaft - eine wohlwollende, zweifellos, aber trotzdem eine Gewaltherrschaft mit Diebstahl als Endzweck. Und was die Engländer im Osten, die Sahiblog, betraf, so hatte Flory sie im Zusammenleben mit ihnen so hassen gelernt, daß er völlig unfähig war, ihnen gegenüber fair zu sein. Denn schließlich sind die armen Teufel nicht schlechter als jeder andere. Sie sind um das Leben, das sie führen, nicht zu beneiden; es ist ein schlechtes Geschäft, dreißig Jahre schlecht bezahlt in einem fremden Lande zu leben und dann mit zerstörter Leber und Schwielen am Hintern vom Sitzen auf Korbstühlen nach Hause zu kommen und als Langweiler in einem zweitklassigen Club herumzusitzen. Andererseits darf man die Sahiblog nicht idealisieren. Es ist eine vorherrschende Vorstellung, die Männer auf den ›Außenposten des Empires‹ wären zumindest fähige und schwerarbeitende Leute. Das ist eine Täuschung.
Weitere Kostenlose Bücher