orwell,_george_-_tage_in_burma
Atmosphäre von literarischer Bildung. Die Jungen lernten so gut wie nichts. Es gab nicht genug Prügel, um sie zu zwingen, den öde n Unsinn des Lehrplans zu schlucken, und die jämmerlichen, unterbezahlten Lehrer sonderten keine Weisheit versehentlich ab. Flory verließ diese Schule als barbarischer junger Lümmel. Und doch hatte er schon damals, und er wußte es, gewisse Möglichkeiten in sich; Möglichkeiten, die ihn höchstwahrscheinlich in Schwierigkeiten bringen würden. Aber er hatte sie natürlich unterdrückt. Ein Junge fängt seine Laufbahn nicht mit dem Spitznamen Affenpo an, ohne eine Lehre daraus zu ziehen.
Er war noch nicht ganz zwanzig, als er nach Burma kam. Seine Eltern, brave Leute, die ihn zärtlich liebten, hatten für ihn eine Stellung bei einer Holzfirma gefunden. Sie hatten diesen Posten nur mit großen Schwierigkeiten gefunden und ein Lehrgeld bezahlt, das sie sich nicht leiste n konnten; später hatte er sie damit belohnt, daß er ihre Briefe mit nachlässigem Gekritzel nach Monaten beantwortete. Seine ersten sechs Monate in Burma hatte er in Rangun verbracht, wo er die Büroseite seines Berufes erlernen sollte. Er hatte in einer ›Wohngemeinschaft‹ gewohnt zusammen mit vier anderen Jünglingen, die ihre ganze Kraft für Ausschweifungen verbrauchten. Und was für Ausschweifungen! Sie soffen Whisky, den sie heimlich haßten, sie standen um das Klavier herum und brüllten wahnsinnig schmutzige und blöde Lieder, sie vergeudeten Rupien hunderteweise an ältliche jüdische Huren mit Krokodilsgesichtern. Auch das war eine Ausbildung gewesen.
Aus Rangun war er in ein Lager im Dschungel nördlich von Mandalay gegangen, wo Teakholz gewonnen wurde. Das Dschungelleben war nicht schlecht trotz der Unbequemlichkeit, der Einsamkeit und, was fast das Schlimmste in Burma ist, dem ekelhaften, eintönigen Essen. Er war damals sehr jung, jung genug für Heldenverehrung, und er hatte Freunde unter den Männern in seiner Firma. Man ging auch auf die Jagd und fischte, und vielleicht einmal im Jahr machte man einen eiligen Ausflug nach Rangun - unter dem Vorwand eines Besuches beim Zahnarzt. Oh, welche Lust waren diese Ausflüge nach Rangun! Der Ansturm auf Smart und Mookerdums Buchhandlung, um die neu von England eingetroffenen Romane zu kaufen, das Essen bei Anderson mit Beefsteaks und Butter, Zwölftausend Kilometer weit auf Eis hierher transportiert, das herrliche Trinkgelage! Er war zu jung, um sich klarzumachen, was dieses Leben für ihn in Bereitschaft hielt. Er sah nicht die Jahre, die sich vor ihm erstreckten, einsam, ereignislos, korrumpierend.
Er akklimatisierte sich in Burma. Sein Körper paßte sich dem fremden Rhythmus der tropischen Jahreszeit an. Jedes Jahr von Februar bis Mai brannte die Sonne vom Himmel wie ein wütender Gott, dann plötzlich blies der Monsun westwärts, erst in heftigen Sturmböen, dann in schwerem, unaufhörlich niederströmendem Regen, der alles durchweichte, bis weder die Kleidung noch das Bett noch die Speisen jemals trocken zu sein schienen. Es war immer noch heiß, eine stickige, dampfige Hitze. Die tiefer gelegenen Dschungelwege verwandelten sich in Morast, und die Reisfelder waren große Wüsten von stehendem Wasser mit einem schalen Mäusegeruch. Bücher und Schuhe verschimmelten. Nackte Burmanen mit meterbreiten Hüten aus Palmblättern pflügten die Reisfelder, trieben ihre Büffel durch knietiefes Wasser. Später pflanzten Frauen und Kinder die grünen Reiskeimlinge, klopften jede Pflanze mit kleinen dreizinkigen Gabeln im Schmutz fest. Den Juli und August hindurch machte der Regen kaum eine Pause. Dann, eines Nachts, hörte man hoch oben das Kreischen unsichtbarer Vögel. Die Schnepfen flogen aus Zentralasien nach Süden. Der Regen flaute allmählich ab und hörte im Oktober ganz auf. Die Felder trockneten, der Reis reifte, die burmanischen Kinder spielten mit Gonyinsamen Himmel und Hölle und ließen im kühlen Wind Drachen steigen. Es war der Anfang des kurzen Winters, wenn Oberburma von dem Geist von Engla nd heimgesucht schien. Wilde Blumen erblühten überall, nicht ganz die gleichen wie in England, aber sehr ähnlich - Geißblatt in dichten Büschen, wilde Rosen, die nach Birnensaft rochen, sogar Veilchen an dunkleren Stellen im Wald. Die Sonne beschrieb am Himmel einen niedrigen Kreis, und nachts und am frühen Morgen war es bitter kalt, und weißer Nebel wälzte sich durch die Täler wie der Dampf von riesigen Kesseln. Man ging auf die Enten- und
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