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orwell,_george_-_tage_in_burma

Titel: orwell,_george_-_tage_in_burma Kostenlos Bücher Online Lesen
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liebte wie er und es so haßte wie er. Der ihm dabei helfen würde, zu leben, ohne etwas zu verbergen, nichts unausgesprochen zu lassen. Jemand, der ihn verstand: einen Freund, darauf kam es hinaus.
    Einen Freund. Oder eine Frau? Diese ganz unmögliche Sie. Jemand wie Mrs. Lackersteen zum Beispiel? Eine verdammte Memsahib, gelb und mager, die bei Cocktails in Skandalen wühlte, mit den Diens tboten gemeinsame Sache machte, zwanzig Jahre im Lande lebte, ohne ein Wort von seiner Sprache zu können. Nein, bitte, lieber Gott, so eine nicht.
    Flory lehnte sich über das Tor. Der Mond verschwand hinter der dunkeln Wand des Dschungels, aber die Hunde he ulten noch. Ein paar Verse von Gilbert kamen ihm in den Sinn, ein vulgäres, albernes Reimgeklingel, aber es paßte - etwas wie ›Unterhaltung über deinen komplizierten Gemütszustand‹. Gilbert war ein begabter Kerl. Liefen all seine Sorgen also einfach darauf hinaus? Einfach unmännliches, kompliziertes Gewinsel; Armeskleinesreiches- Mädchen- Zeug? War er weiter nichts als ein Faulenzer, der seine Muße dazu benutzte, eingebildete Wehwehchen zu erfinden? Eine geistige Mrs. Wititterly? Ein Hamlet ohne Poesie? Vielleicht. Und wenn ja, wurde es dadurch erträglicher? Es ist nicht weniger bitter, weil es vielleicht eigene Schuld ist, sich in Schande und grauenhafter Sinnlosigkeit dahintreiben und verkommen zu sehen und die ganze Zeit zu wissen, daß irgendwo drinnen doch noch die Möglichkeit zu einem anständigen Menschen steckt.
    Nun ja, Gott schütze uns vor Selbstmitleid! Flory ging wieder auf die Veranda, nahm das Gewehr und zielte, leicht zusammenzuckend, auf den Pariahund. Es gab einen widerhallenden Knall, und die Kugel vergrub sich irgendwo auf dem Platz, weit vom Ziel. Eine maulbeerfarbene Beule bildete sich an Florys Schulter. Der Hund kläffte erschrocken, gab Fersengeld, dann setzte er sich fünfzig Meter weiter hin und begann wieder sein rhythmisches Gebell.
    VI
    Die Morgensonne fiel schräg über den Maidan und traf gelb wie Blattgold die weiße Front des Bungalows. Vier schwarzviolette Krähen stießen herab und ließen sich auf der Verandabrüstung nieder, wo sie auf die Gelegenheit warteten, hineinzuflitzen und Brot und Butter zu stehlen, die Ko S’la an Florys Bett gesetzt hatte. Flory kroch durch das Moskitonetz, rief Ko S’la zu, er möge ihm Gin bringen, dann ging er ins Badezimmer und saß eine Weile in einer Zinkwanne mit Wasser, das angeblich kalt war. Nach dem Gin fühlte er sich besser und rasierte sich. In der Regel schob er das Rasieren bis zum Abend auf, denn sein Barthaar war schwarz und wuchs schnell.
    Während Flory verdrießlich in seinem Bad saß, kämpfte Mr. Macgregor in Shorts und Unterhemd auf der zu diesem Zweck in seinem Schlafzimmer ausgelegten Bambusmatte sich durch Nummer 5, 6, 7, 8 und 9 von Nordenflychts ›Turnbrevier für Stubenhocker‹. Mr. Macgregor versäumte seine Morgengymnastik nie oder nur selten. Nummer 8 (flach auf dem Rücken, die Beine rechtwinklig heben, ohne die Knie zu beugen) war ausgesprochen mühsam für einen Dreiundfünfzigjährigen; Nummer 9 (flach auf den Rücken legen, sich zu sitzender Haltung aufrichten und die Zehen mit den Fingerspitzen berühren) noch schlimmer. Nun, egal, man mußte fit ble iben! Während Mr. Macgregor sich mühsam in Richtung seiner Zehen beugte, verbreitete sich ein ziegelroter Schatten von seinem Hals aufwärts und sammelte sich auf seinem Gesicht wie ein drohender Schlaganfall. Der Schweiß glänzte auf seiner breiten, teigige n Brust. Nur nicht nachlassen, nicht nachlassen! Man mußte um jeden Preis fit bleiben. Mohammed Ali, der Träger, der Mr. Macgregors saubere Sachen über dem Arm trug, sah durch die halboffene Tür zu. Sein schmales, gelbes arabisches Gesicht verriet weder Verständnis noch Neugier. Er hatte diese Verrenkungen - ein Opfer für einen geheimnisvollen und strengen Gott, stellte er sich verschwommen vor seit fünf Jahren jeden Morgen mit angesehen.
    Zur selben Zeit lehnte Westfield, der zeitig ausgegangen war, an dem mit Kerben und Tintenflecken bedeckten Tisch der Polizeiwache, während der dicke Unterinspektor einen Verdächtigen verhörte, den zwei Polizisten bewachten. Der Verdächtige war ein vierzigjähriger Mann mit grauem, ängstlichem Gesicht, bekleidet nur mit eine m bis zum Knie aufgeschürzten, zerlumpten Longyi, unter dem man seine mageren, gekrümmten und mit Zeckenbissen punktierten Schienbeine sah.
    »Wer ist der Kerl?« fragte

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