orwell,_george_-_tage_in_burma
teuflischen Zorn. Sie waren so wütend, daß Flory nur mit größter Schwierigkeit so tun konnte, als wäre er wütend genug für ihre Befriedigung. Ellis fluchte fünf Minuten lang und entschloß sich dann durch eine ungewöhnliche Schlußfolgerung zu der Behauptung, Dr. Veraswami wäre für diesen Artikel verantwortlich. Und er hatte sich auch schon einen Gegenschlag ausgedacht. Sie würden eine Bekanntmachung anschlagen - eine Notiz, die derjenigen, die Mr. Macgregor gestern angeschlagen hatte, antwortete und widersprach. Ellis setzte sie sofort in seiner winzigen, klaren Handschrift auf:
»Im Hinblick auf die unserem Stellvertretenden Kommissar erteilte feige Beleidigung möchten die Unterzeichneten ihrer Meinung Ausdruck geben, daß jetzt der denkbar schlechteste Zeitpunkt ist, die Wahl von Niggern in diesen Club zu erwägen«, usw. usw.
Westfield erhob Einsprüche gegen ›Nigger‹. Es wurde mit einer einzigen dünnen Linie ausgestrichen und durch ›Eingeborene‹ ersetzt. Die Bekanntmachung war unterschrieben »R. Westfield, P. W. Ellis, C. W. Maxwell, J. Flory.«
Ellis war von seiner Idee so entzückt, daß eine gute Hälfte seiner Wut verpuffte. Der Anschlag würde an sich keine Folgen haben, aber die Nachricht davon würde schnell in der Stadt herumkommen und Dr. Veraswami morgen erreichen. Es kam darauf hinaus, daß der Doktor von der europäischen Gemeinde als Nigger bezeichnet worden war. Das erfreute Ellis. Den ganzen übrigen Abend konnte er den Blick kaum von dem Anschlagbrett wenden, und alle paar Minuten rief er schadenfroh aus: »Das wird dem kleinen Dickbauch was zum Nachdenken geben, heh? Wird diesem Schwein beibringen, wie wir über ihn denken. So muß man ihnen zeigen, wo sie hingehören, heh?« usw.
Nun hatte Flory eine öffentliche Beleidigung seines Freundes unterzeichnet. Er hatte es getan aus demselben Grunde, aus dem er tausend Dinge in seinem Leben getan hatte; weil ihm der kleine Funken Mut fehlte, den es zu einer Weigerung braucht. Denn natürlich hätte er sich weigern können, wenn er gewollt hätte; und ebenso natürlich hätte die Weigerung einen Krach mit Ellis und Westfield bedeutet. Und oh, wie er einen Krach haßte! Das Gekeife, das Gespött! Schon beim Gedanken daran schreckte er zurück; er konnte das Muttermal an seiner Wange deutlich fühlen, und etwas in seinem Hals machte seine Stimme flach und schuldbewußt. Nur nicht das! Es war leichter, seinen Freund zu beleidigen; denn daß der davon hören würde, wußte er.
Flory war seit fünfzehn Jahren in Burma, und in Burma lernt man, sich nicht gegen die öffentliche Meinung aufzulehnen. Aber sein Problem war älter. Es hatte im Mutterschoß begonnen, als der Zufall das blaue Muttermal auf seine Wange drückte. Er dachte an manche frühen Wirkungen dieses Muttermals. Der erste Schultag mit neun Jahren; die starrenden Blicke und nach ein paar Tagen die höhnischen Rufe der anderen Jungen; sein Spitzname Blaubacke, der ihm anhaftete, bis der Schuldichter (ein Kritiker, fiel Flory jetzt ein, der recht gute Artikel für die Nation geschrieben hatte) mit dem Vers herauskam:
Unser Flory comme il faut Hat’n Gesicht wie’n Affenpo, woraufhin der Spitzname Affenpo sich einbürgerte. Und die folgenden Jahre. Samstag abends veranstalteten die älteren Jungen etwas, was sie spanische Inquisition nannten. Die Lieblingstortur war, daß jemand einen mit einem sehr schmerzhaften Griff, den nur einige Auserwählte kannten und der Spezialtogo genannt wurde, festhielt, während ein anderer einen mit einer an einer Schnur befestigten Kastanie schlug. Aber Flory hatte den »Affenpo« mit der Zeit vergessen lassen. Er war ein Lügner und ein guter Fußballer, zwei Dinge, die für den Erfolg in der Schule absolut unerläßlich sind. In seinem letzten Schuljahr hielten er und ein anderer Junge d en Schuldichter im Spezialtogo, während der Kapitän der Elf ihm sechs Schläge mit einem mit Spikes versehenen Rennschuh verabfolgte, weil er dabei erwischt worden war, daß er ein Sonett schrieb. Es war eine lehrreiche Zeit.
Aus dieser Schule ging er in eine billige, drittklassige Public School. Es war ein armseliges, angeberisches Internat. Es äffte die großen Public Schools mit ihrer Tradition vom High-Anglikanismus, Kricket und lateinischen Versen nach und hatte eine Schulhymne, die ›Das Gedränge des Lebens‹ hieß und in der Gott als der Große Schiedsrichter fungierte. Aber es fehlte der Hauptvorzug der großen Public Schools, die
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