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orwell,_george_-_tage_in_burma

Titel: orwell,_george_-_tage_in_burma Kostenlos Bücher Online Lesen
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Westfield.
    »Ein Dieb, Sir. Wir fanden ihn im Besitz von diesem Ring mit zwei sehr teuren Smaragden. Keine Erklärung. Wie kann er armer Kuli - ein Smaragdring besitzen? Er wird ihn gestohlen haben.«
    Er wandte sich wütend dem Verdächtigen zu, näherte ihm sein Gesicht wie ein Kater, bis es fast das des anderen berührte, und brüllte mit enormer Stimme:
    »Du hast den Ring gestohlen!«
    »Nein.«
    »Du bist ein alter Vorbestrafter!«
    »Nein.«
    »Du hast im Gefängnis gesessen!«
    »Nein.«
    »Dreh dich um!« kläffte der Unterinspektor, einem plötzlichen Einfall gehorchend. »Bück dich!«
    Der Verdächtige wandte sein graue s Gesicht in Todesangst Westfield zu, der den Blick abwandte. Die beiden Polizisten ergriffen ihn, drehten ihn um und beugten ihn vor; der Unterinspektor riß ihm seinen Longyi ab, und er stand mit bloßem Gesäß da.
    »Sehen Sie dies, Sir!« Er deutete auf einige Narben. »Er ist gepeitscht worden mit Bambus. Er ist ein alter Missetäter. Darum hat er den Ring gestohlen!«
    »Na gut, sperrt ihn ins Kittchen«, sagte Westfield mürrisch, während er, die Hände in den Taschen, von dem Tisch fortschlenderte. Im Grunde seines Herzens verabscheute er es, diese armen Teufel wegen gewöhnlichem Diebstahl einzusperren. Banditen, Rebellen - ja; aber nicht diese armen, kriecherischen Ratten!
    »Wie viele hast du jetzt im Kittchen, Maung Ba?« fragte er. »Drei, Sir.«
    Die Haftzelle war oben, ein Käfig, von sechszölligen Holzgittern umgeben und von einem mit einem Karabiner bewaffneten Polizisten bewacht. Es war sehr dunkel, erstickend heiß und ganz ohne Möbel bis auf eine Latrine, die zum Himmel stank. Zwei Gefangene hockten am Gitter, m öglichst weit entfernt von einem dritten, einem indischen Kuli, der von Kopf bis Fuß mit Grind bedeckt war wie von einem Panzer. Eine stämmige burmanische Frau, die Frau des einen Polizisten, kniete draußen vor dem Käfig und schöpfte Reis und wässeriges Da hl in Blechpfännchen.
    »Ist das Essen gut?« fragte Westfield.
    »Es ist gut, Heiligster«, antworteten die Gefangenen im Chor. Die Regierung bewilligte für das Essen der Gefangenen
    zweieinhalb Annas pro Mann und Mahlzeit, und die Frau des Polizisten sah darauf, daß sie davon je eine Anna herausschlug.
    Flory ging hinaus und bummelte über das Grundstück, mit seinem Stock Unkraut in den Boden bohrend. Um diese Tageszeit hatte alles schöne matte Farben - das zarte Grün des Laubes, das rosige Braun der Erde und der Baumstämme - , wie Aquarellfarben, die später im grellen Licht verschwinden würden. Unten auf dem Platz jagten Scharen von kleinen, niedrig fliegenden, braunen Tauben einander hin und her, und smaragdgrüne Bienenfresser kurvten durch die Luft wie langsame Schwalben. Eine Reihe von Straßenkehrern, jeder seine Last halb unter seinem Gewand verborgen, marschierten im Gänsemarsch zu einem scheußlichen Müllabladeplatz, den es am Rande des Dschungels gab. Halbverhungerte Jammergestalten mit stockdürren Gliedmaßen und Knien, die sie vor Schwäche nicht mehr strecken konnten, in erdfarbene Lumpen gehüllt, muteten sie an wie eine Prozession von Skeletten im Leichentuch.
    Der Mali war unten beim Taubenschlag, der neben dem Tor stand, damit beschäftigt, die Erde für ein neues Blumenbeet umzugraben. Er war ein lymphatischer, schwachsinniger Hindujüngling, der sein Leben in fast vollkommenem Schweigen zubrachte, weil er einen Manipur - Dialekt sprach, den niemand sonst verstand, nicht einmal seine Zerbadi- Frau. Außerdem war se ine Zunge eine Nummer zu groß für seinen Mund. Er machte einen tiefen Selam vor Flory, wobei er die Hand vor das Gesicht legte, dann schwang er wieder sein Mamootie und hackte mit schweren, plumpen Stößen auf die ausgedörrte Erde ein, und seine zarten Rückenmuskeln zitterten.
    Ein grelles, kreischendes Geschrei, das wie ›Kwaaa!‹ klang, kam aus den Dienstbotenräumen. Ko S’las Frauen hatten ihren Morgenzank begonnen. Der zahme Kampfhahn namens Nero stolzierte auf der Flucht vor Flo ängstlich im Zickzack den Pfad entlang, und Ba Pe kam mit einer Schüssel Reis heraus, und man fütterte Nero und die Tauben. Aus den Dienstbotenräumen war mehr Geschrei zu hören, gemischt mit den rauhen Stimmen der Männer, die den Streit schlichten wollten. Ko S’la hatte viel unter se inen Frauen zu leiden. Ma Pu, die erste, war eine hagere Frau mit hartem Gesicht, flechsig vom vielen Kinderkriegen, und Ma Yi, das ›Frauchen‹, war einige Jahre jünger, eine

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