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orwell,_george_-_tage_in_burma

Titel: orwell,_george_-_tage_in_burma Kostenlos Bücher Online Lesen
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dazu sagen, daß es Fälle gibt, wo die Mädchen selbst daran schuld sind, wenn sie sich nicht verheiraten. Das passiert selbst hier draußen manchmal. Erst vor kurzer Zeit gab es einen Fall, an den ich mich erinnere - ein Mädchen kam hierher und blieb ein ganzes Jahr bei ihrem Bruder, und sie hatte Angebote von allen möglichen Männern - Polizisten, Forstbeamte, Angestellte in Holzfirmen mit recht guten Aussichten. Und sie gab allen einen Korb; sie wollte einen vom Indian Civil Service heiraten, wie ich hörte. Nun ja, was konnte daraus werden! Natürlich konnte ihr Bruder sie nicht ewig hier behalten. Und jetzt habe ich gehört, daß sie in der Heimat ist, das arme Kind, und als so etwas wie eine Gesellschafterin arbeitet, also praktisch als Dienstbote. Und nur für fünfzehn Shilling die Woche! Ist so etwas nicht furchtbar?«
    »Furchtbar!« echote Elizabeth.
    Weiter wurde über dieses Thema nicht gesprochen. An dem Morgen, als Elizabeth von Flory zurückkam, beschrieb sie Onkel und Tante ihr Abenteuer. Sie saßen beim Frühstück an dem blumenüberladenen Tisch, über ihnen flatterte der Punkah, und der große, storchbeinige mohammedanische Butler in seinem weißen Anzug und Pagri stand mit einem Tablett in der Hand hinter Mrs. Lackersteens Stuhl.
    »Und dann, Tante, etwas so Interessantes! Ein burmanisches Mädchen kam auf die Veranda. Ich hatte noch nie eine gesehen, wenigstens wußte ich nicht, daß es Mädchen sind. So ein komisches kleines Ding! Sie sah fast wie eine Puppe aus mit ihrem runden gelben Gesicht und ihrem auf dem Kopf aufgetürmten Haar. Sie konnte nicht älter als siebzehn sein. Mr. Flory sagte, sie wäre seine Waschfrau.«
    Der lange Körper des indischen Butlers wurde steif. Er blinzelte auf das Mädchen herab, und seine weißen Augäpfel wirkten riesengroß in dem schwarzen Gesicht. Er sprach sehr gut Englisch. Mr. Lackersteen hielt eine Gabel mit Fisc h auf halbem Wege zwischen seinem Teller und seinem weit geöffneten Mund.
    »Waschfrau«, sagte er. »Waschfrau! Verflixt nochmal, da stimmt was nicht. So was wie eine Waschfrau gibt’s nämlich nicht in diesem Land. Die ganze Wascherei wird von den Männern gema cht. Wenn du mich fragst - «
    Und dann brach er ganz plötzlich ab, beinahe so, als hätte ihm jemand unterm Tisch auf den Fuß getreten.
    VIII
    An diesem Abend wies Flory Ko S’la an, den Barbier zu holen. Es gab nur einen Barbier in der Stadt, einen Inder, und er verdiente seinen Lebensunterhalt durch Rasieren der indischen Kulis zum Preise von acht Annas pro Monat für eine Trockenrasur jeden zweiten Tag. Die Europäer waren seine Kunden, weil sie keinen anderen hatten. Der Barbier wartete auf der Veranda, als Flo ry vom Tennis zurückkam, und Flory sterilisierte die Schere mit kochendem Wasser und einem Desinfektionsmittel und ließ sich das Haar schneiden.
    »Leg meinen besten Palm- Beach- Anzug heraus«, sagte er zu Ko S’la, »und ein seidenes Hemd und meine Sambhurleder-Schuhe. Außerdem die neue Krawatte, die vorige Woche aus Rangun gekommen ist.«
    »Das habe ich schon getan, Thakin«, sagte Ko S’la, womit er meinte, daß er es tun würde. Als Flory ins Schlafzimmer kam, wartete Ko S’la neben den Kleidungsstücken, die er zurechtgelegt hatte, mit leicht verdrossener Miene. Es war sonnenklar, daß er wußte, warum Flory sich so herausputzte (nämlich in der Hoffnung, Elizabeth zu treffen), und daß er es mißbilligte.
    »Worauf wartest du?« fragte Flory.
    »Euch anziehen helfen, Thakin.«
    »Ich ziehe mich heute abend allein an. Du kannst gehen.« Er wollte sich rasieren - zum zweitenmal an diesem Tag - ,
    und wollte nicht, daß Ko S’la ihn seine Rasiersachen ins Badezimmer mitnehmen sah. Es war mehrere Jahre her, daß er sich zweimal am Tag rasiert hatte. Was für ein Glück, daß er erst letzte Woche diesen neuen Schlips bestellt hatte, dachte er. Er zog sich sehr sorgfältig an und verbrachte fast eine Viertelstunde damit, sein Haar zu bürsten, das steif war und sich nach dem Schneiden nie anlegen wollte.
    Fast im nächsten Augenblick, so schien es ihm, ging er mit Elizabeth die Basarstraße herunter. Er hatte sie allein in der Club - ›Bibliothek‹ gefunden und sie in einem plötzlichen Anfall von Mut gebeten, mit ihm auszugehen; und sie war mit einer Bereitwilligkeit gekommen, die ihn überraschte, und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, Onkel und Tante Bescheid zu sagen. Er hatte so lange in Burma gelebt, daß er die englischen Sitten vergessen

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