orwell,_george_-_tage_in_burma
diese Töpfe! Es sieht wirklich fürchterlich aus. Wenn nun jemand hereinkommt!«
Der entrückte, jenseitige Ausdruck, den Mrs. Lackersteen annahm, sobald sich etwas Arbeitsähnliches zeigte, trat in ihre Augen.
»Keiner meiner Freunde würde sich daran stoßen, Liebes. Wir sind eben Bohémiens, wir Künstler. Du verstehst nicht, wie völlig beansprucht wir alle von unserer Malere i sind. Du hast kein künstlerisches Temperament, weißt du, Liebe.«
»Ich muß versuchen, ein paar von diesen Töpfen sauberzumachen. Ich kann den Gedanken, daß du so lebst, einfach nicht ertragen. Was hast du mit der Scheuerbürste gemacht?«
»Die Scheuerbürste ? Nun, laß mich nachdenken, ich weiß, daß ich sie irgendwo gesehen habe. Ach ja! Ich habe sie gestern benutzt, um meine Palette zu reinigen. Aber wenn du sie tüchtig in Terpentin auswäschst, wird sie wieder sauber.«
Mrs. Lackersteen setzte sich und fuhr fort, ein Blatt Skizzenpapier mit einem Conté- Farbstift vollzuklecksen, während sich Elizabeth in der Wohnung umtat.
»Du bist so wunderbar, Liebes. So praktisch! Ich weiß gar nicht, von wem du das geerbt hast. Für mich ist die Kunst einfach alles. Ich fühle sie wie ein großes Meer in mir aufwogen. Sie schwemmt alles Gemeine und Kleinliche aus dem Dasein hinweg. Gestern habe ich meinen Lunch aus Nash’s Magazine gegessen, um keine Zeit mit dem Abwaschen von Tellern zu vergeuden. Ist das nicht eine gute Idee? We nn man einen sauberen Teller braucht, reißt man einfach ein Blatt von der Zeitung ab«, usw. usw. usw.
Elizabeth hatte in Paris keine Freunde. Die Freunde ihrer Mutter waren entweder Frauen von derselben Prägung oder ältere, matte Junggesellen, die von eine m kleinen Einkommen lebten und klägliche Halbkünste ausübten wie Holzschnitzen oder Porzellanmalerei. Sonst sah Elizabeth nur Ausländer, und sie lehnte alle Ausländer en bloc ab; oder wenigstens alle männlichen Ausländer mit ihren billig aussehenden Anzüge n und abstoßenden Tischmanieren. Sie hatte in dieser Zeit einen großen Trost, nämlich in die amerikanische Bibliothek in der Rue de l’Elysée zu gehen und die illustrierten Zeitschriften anzusehen. Manchmal am Sonntag oder an ihrem freien Nachmittag saß sie dort stundenlang an dem großen glänzenden Tisch, träumerisch im Sketch, Tatler, Graphic oder Sporting and Dramatic blätternd.
Ach, was für Freuden waren dort abgebildet! »Zusammenkunft zur Parforcejagd auf dem Rasen von Charlton Hall, Lord Burrowdeans bezauberndem Landsitz in Warwickshire.«
»Die Ehrenwerte Mrs. Tyke- Bowlby im Park mit ihrem prachtvollen Schäferhund Kublai Khan, der diesen Sommer bei Cruft’s den zweiten Preis gewann.«
»Sonnenbad in Cannes. Von links nach rechts: Miss Barbara Pilbrick, Sir Edward Tuke, Lady Pamela Westrope, Captain ›Tuppy‹ Benacre.«
Wunderschöne, wunderschöne goldene Welt! Zweimal blickte Elizabeth das Gesicht einer alten Schulkameradin von einer Bildseite entgegen. Der Anblick schnitt ihr ins Herz. Da waren sie alle, ihre alten Schulkameradinnen mit ihren Pferden und Automobilen und ihren Männern in Kavallerieregimentern; und hier war sie, an diese gräßliche Arbeit gefesselt, an diese gräßliche Pension, an ihre gräßliche Mutter! War es möglich, daß es kein Entrinnen gab? Konnte sie auf ewig zu dieser schmutzigen Gemeinheit verurteilt sein, ohne Hoffnung, jemals wieder in die anständige Welt zurückzukehren?
Es war mit dem Beispiel ihrer Mutter vor Augen nicht unnatürlich, daß Elizabeth einen gesunden Abscheu vor der Kunst hatte. Sogar jedes Übermaß an Intellekt - ›Gehirnakrobatik‹ war ihr Wort dafür - war meistens in ihren Augen etwas ›Garstiges‹. Richtige Leute, fand sie, anständige Leute - Leute, die auf Moorhühner Jagd machten, sich nach Ascot begaben, eine Yacht in Cowes hatten - waren keine Gehirnakrobaten. Diese Leute gaben sich nicht mit so Zeug wie Bücherschreiben ab und fuchtelten nicht mit Malpinseln herum; sie befaßten sich auch nicht mit »hochgestochenen« Ideen - »Hochgestochen« war ein Schimpfwort in ihrem Vokabular. Und wenn sie, wie es ein- oder zweimal geschah, einem echten Künstler begegnete, der lieber sein Leben lang ohne Verdienst arbeiten wollte als sich einer Bank oder Versicherungsfirma verkaufen, dann verachtete sie ihn weit mehr als selbst die Dilettanten im Kreise ihrer Mutter. Daß ein Mann sich bewußt von allem abkehrte, was gut und anständig war, und sich für etwas Sinnloses aufopferte, das zu nichts
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