orwell,_george_-_tage_in_burma
stiegen in einen der Sampans und wurden zu den sonnenhellen Kais gerudert. Und der erfolgreiche Sampanführer wandte sich um und spie auf seinen Rivalen einen Mund voll Spucke, den er ziemlich lange aufgespart haben mußte.
Das war der Orient. Der Duft von Kokosnußöl und Sandelholz, Zimt und Gelbwurz schwebte auf der heißen, flimmernden Luft übers Wasser. Elizabeths Freunde fuhren sie zum Mount Lavinia hinaus, wo sie in lauwarmem Meerwasser badeten, das wie Coca- Cola schäumte. Sie kamen abends aufs Schiff zurück und erreichten nach einer Woche Rangun.
Nördlich von Mandalay kroch der mit Holz geheizte Zug mit zwanzig Stundenkilometern über eine weite, ausgedörrte Ebene, die an ihren fernen Rändern von einem Kreis blauer Hügel begrenzt war. Weiße Reiher standen regungslos in ausgewogenem Gleichgewicht da, und Haufen von trocknenden Pfefferschoten leuchtete n scharlachrot in der Sonne. Manchmal erhob sich eine weiße Pagode aus der Ebene wie die Brüste einer hingestreckten Riesin. Die frühe Tropennacht brach ein, und der Zug zuckelte weiter, langsam, an kleinen Stationen haltend, wo barbarische Schreie aus dem Dunkel ertönten. Halbnackte Männer, das lange Haar am Hinterkopf zusammengebunden, liefen im Fackelschein hin und her, in Elizabeths Augen häßlich wie Dämonen. Der Zug versank im Walde, und unsichtbare Zweige streiften die Fenster.
Es war etwa neun Uhr, als sie in Kyauktada ankamen, wo Elizabeths Onkel und Tante mit Mr. Macgregors Wagen und mit einigen fackeltragenden Dienern warteten. Elizabeths Tante trat zu ihr und nahm ihre Schultern in ihre zarten Eidechsenhände.
»Du bist doch unsere Nichte Elizabeth? Wir freuen uns so, dich zu sehen«, sagte sie und gab ihr einen Kuß.
Mr. Lackersteen spähte im Fackelschein über die Schulter seiner Frau. Er setzte zum Pfeifen an, rief »Teufel nochmal!«, und dann packte er Elizabeth und küßte sie, wärmer als eigentlich nötig, wie sie fand. Sie hatte keinen der beiden jemals gesehen.
Nach dem Essen saßen Elizabeth und ihre Tante unter dem Punkah im Wohnzimmer und unterhielten sich. Mr. Lackersteen machte einen Spaziergang durch den Garten, angeblich wegen des Jasmindufts, tatsächlich um sich einem heimlichen Schluck hinzugeben, den einer der Diener ihm durch die Hintertür des Hauses herausgeschmuggelt hatte.
»Meine Liebe, wie wunderschön du bist! Laß mich dich noch einmal ansehen!« Sie nahm sie bei den Schultern. »Ich finde wirklich, dieser Eton- Haarschnitt steht dir. Hast du dir den in Paris machen lassen?«
»Ja. Alle ließen sich diesen Eton- Schnitt machen. Es steht einem, wenn man einen einigermaßen kleinen Kopf hat.«
»Wunderhübsch! Und diese Schildpattbrille - wirklich eine kleidsame Mode! Ich habe gehört, daß alle - äh - Demimondänen in Südamerika sie jetzt tragen. Ich hatte keine Ahnung, daß meine Nichte eine so hinreißende Schönheit ist. Wie alt bist du, sagtest du, Liebes?«
»Zweiundzwanzig.«
»Zweiundzwanzig! Wie entzückt werden alle Männer sein, wenn wir dich morgen in den Club mitnehmen! Sie sind so einsam, die Armen, nie sehen sie ein neues Gesicht. Und du warst zwei volle Jahre in Paris? Ich kann mir nicht denken, was sich die Männer dort dabei gedacht haben, daß sie dich unverheiratet abfahren ließen.«
»Ich habe leider nicht viele Männer kennengelernt, Tante. Nur Ausländer. Wir mußten ein so stilles Leben führen. Und ich habe gearbeitet«, fügte sie hinzu und dachte, daß sie damit ein ziemlich beschämendes Geständnis machte.
»Natürlich, natürlich«, seufzte Mrs. Lackersteen. »Man hört das von allen Seiten. Schöne Mädchen, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Es ist eine Schande! Ich finde es so schrecklich egoistisch, findest du nicht auch, daß diese Männer einfach unverheiratet bleiben, während es so viele arme Mädchen gibt, die nach einem Mann suchen?« Da Elizabeth nicht darauf einging, setzte Mrs. Lackersteen wiederum seufzend hinzu: »Also, wenn ich ein junges Mädchen wäre, würde ich irgend jemanden heirate n, buchstäblich irgend jemanden!«
Die Blicke der beiden Frauen begegneten sich. Mrs. Lackersteen hätte viel zu sagen gehabt, aber sie beabsichtigte jetzt nicht über Andeutungen hinauszugehen. Ein großer Teil ihrer Konversation bewegte sich in Andeutungen; im allgemeinen brachte sie jedoch ihre Meinung einigermaßen zum Ausdruck. Sie sagte in zärtlich unpersönlichem Ton, wie über ein allgemein interessantes Thema: »Natürlich muß ich
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