Ostfriesenblut
Besitz seiner Computer und CDs sind. Mit ein bisschen Kombinationsgabe müsste er folgern, dass wir die Filmchen gesehen haben. Oder denkt er, dass seine blödsinnigen Versuche, die Festplatte mit einem Passwort zu verschlüsseln, von uns nicht geknackt werden könnten?
Wie irr ist er? Macht er so große Denkfehler? – Nein, er versteht eine Menge von Computern, und er kann sich denken, dass auch wir nicht auf den Kopf gefallen sind. Er weiß bestimmt, dass ich seinen Trojaner gekillt habe. Gehört es vielleicht sogar mit zu seinem Plan, dass ich die Aufnahmen sehe? Wenn ich jetzt seine Kameras nicht abbaue, was wird er daraus folgern? Er kann eigentlich nur glauben, dass wir seine Filme noch nicht gefunden haben. Vielleicht bestätigt ihn das in seinem Allmachtswahn, alles unter Kontrolle zu haben. Aber wie lange wird er das glauben? Sonst weiß er, dass wir eigentlich nur darauf warten, dass er zurückkommt. Er wird aber nicht so einfach wiederkommen. So blöd ist er nicht. Charlie hat das vielleicht geglaubt. Aber Charlie ist eben ein besserer Techniker und ein weniger guter Kriminalist. Er, der so viel von logischem Denken spricht und für den die Welt eigentlich nur aus Plus und Minus besteht, hat manchmal wenig Feingespür, und längst nicht immer erkennt er die logischen Schlüsse.
Sie hatte etwas ganz anderes vor. Es gibt nur eine Möglichkeit, dachte sie. Es geht um mich. Und ich muss es auch zu Ende bringen.
Sie bewegte sich zunächst ganz normal in ihren eigenen vier Wänden. Sie ging nicht gerade zur Toilette und hatte auch wenig Lust zu duschen. Doch sie zog ihre nassen Turnschuhe aus und wechselte die Socken.
Sie konnte spüren, dass er sie beobachtete. Jetzt, da sie auf keinen Fall zu den Webcams hinsehen durfte, jetzt entdeckte sie sie alle. In jedem Zimmer. Sie wusste sogar, dass im Schlafzimmer oben in dem Koffer eine war. Wo denn sonst?
Sie überlegte, wo sie ihre Botschaft loswerden sollte. Im Schlafzimmer oder im Wohnzimmer? Im Bad auf keinen Fall.
In gewisser Weise genoss Ann Kathrin den Moment, bevor es losging. Sie würde ihn gleich konfrontieren. Sie hatte das Meer gespürt, die Sonne, den Wind. Sie war satt. Und sie wollte endlich
die Handlungsführung über diese Situation zurückbekommen.
Noch denkst du, dass du das Spiel völlig in der Hand hast und alles nach deinen Regeln abläuft. Aber ich bin dir längst einen Schritt voraus. Ich weiß, dass du mich jetzt siehst. Und gleich werde ich dich ansprechen. Das wird dich verblüffen.
Bei dem Gedanken empfand sie eine innere Anspannung, aber durchaus auch einen Triumph.
Soll ich ihn duzen oder soll ich ihn siezen, fragte sie sich. Als Kommissarin siezte sie jeden Verdächtigen. Dieses permanente Du gefiel ihr überhaupt nicht. Sie lehnte es bei ihren Kollegen völlig ab. »Du« ist immer schon eine Grenzüberschreitung, dachte sie. Trotzdem sprach einiges dafür, ihn zu duzen. Er benahm sich wie ein Mitglied ihrer Familie. Lebte mit seinen Augen in ihrem Haus.
Hero war auch einfach ins Bad gekommen, obwohl er wusste, dass sie es besetzt hatte. Irgendwann hatte sie begonnen, das Bad abzuschließen. Er fand das lächerlich. Einmal hatte er fest gegen die Tür geklopft: »Lass mich doch rein!«
»Ich sitze auf der Toilette«, hatte sie gerufen. »Wir haben oben noch ein Bad!«
»Stell dich nicht so an«, hatte er geantwortet. »Ich will doch nur meinen Rasierapparat holen. Der ist hier bei dir!«
Wenn sie Thomas Hagemann duzte, erkannte sie damit die Nähe an, die er zu ihr suchte. Aber vielleicht erhöhte sie auch ihren Einfluss auf ihn.
Sie rief sich die Sätze ins Gedächtnis zurück, die er für sie an die Wand gesprüht hatte:
Das war gut, Frau Kommissarin Klaasen! Aber noch nicht gut genug. Sie haben den Ort des Verbrechens gefunden
. Und sie entschied sich endgültig, ihn zu siezen.
Sie setzte sich aufrecht im Bett hin und sah hoch zum Koffer. Dann sprach sie laut und deutlich: »Ich weiß nicht, warum Sie
das tun, Herr Hagemann. Vielleicht habe ich Ihnen einmal etwas Böses getan. Einen Schaden zugefügt. Sie beleidigt. Das täte mir leid. Ich selbst kann mich nicht daran erinnern. Sie haben mir die tote Frau Orthner vor die Tür gelegt. Sie haben meine Alarmanlagen und Videokameras unter Ihre Kontrolle bekommen. Sie beobachten mich in meinem Haus. Sie haben sogar im Badezimmer eine Webcam installiert. Und jetzt haben Sie die Geliebte meines Mannes Hero entführt. Ich spreche von Susanne Möninghoff. Ich weiß nicht, was
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