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Ostfriesenblut

Ostfriesenblut

Titel: Ostfriesenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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älter als ich. Der Marcel ist im Boxverein und … «
    »Ach, Marcel heißt der.«
    »Die haben gesagt, sie prügeln mir die Seele aus dem Leib, wenn ich sie verrate. Und dir würde sowieso nichts passieren,
weil du nämlich Polizistin bist. Und außerdem sei ich strafunmündig und … «
    »Du hast den Koffer also nicht in den Bahnhof gebracht?«
    Er stöhnte. »Nein, wie denn?«
    Endlich war es raus. Ann Kathrin schloss einen Moment die Augen und atmete durch.
    »Mach dir keine Sorgen, mein Kleiner. Wir werden das klären. Wir kriegen das miteinander hin. Ich werde dir aber nicht ersparen können, gegen deine Kollegen auszusagen.«
    »Das sind nicht meine Kollegen! Der Uwe und der Holger und der Marcel, das sind auch nicht meine Freunde! Die … «
    »Sie haben dich eingeschüchtert und machen dir Angst. Ich krieg das doch mit. Wir werden gemeinsam – dein Vater und ich – zu deiner Schule gehen und mit den Lehrern reden. Du wirst eine Aussage machen und die unterschreiben. Und dann kann mit viel Glück dieser Kelch an uns vorübergehen.«
    »Mama, die machen mich fertig, wenn ich sie verrate!«
    »Ich weiß, dass du jetzt Angst hast, mein Junge. Aber ich fürchte, da musst du durch. Wir werden dich nicht hängen lassen. Ganz bestimmt nicht.«
    »Scheiße!«, schimpfte Eike. »Scheiße! Ich wollte gleich nicht ans Telefon gehen, als ich sah, dass du dran warst! Immer bringst du mich in Schwierigkeiten! Immer … «
    »Ich bringe dich in Schwierigkeiten?«
    Eike wusste nicht mehr weiter. Er hatte sich zu sehr verrannt. Er drückte den roten Knopf, um das Gespräch zu beenden.
    Ann Kathrin klappte ihr Handy zusammen. Es gibt immer einen Ausweg, dachte sie. Immer. Man muss ihn nur finden.
     
    Es ärgerte ihn, dass er nicht zurück in seine Wohnung konnte. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass sie die Wohnung bald finden würden. Es hatte erstaunlich lange gedauert, fand er. Trotzdem vermisste er jetzt ein paar Sachen. Er hatte vergessen,
sich eine Nagelschere einzupacken. Seine Fingernägel waren unerträglich lang geworden. Er mochte es nicht, wenn sie über die Fingerkuppen hinausragten. Lange Fingernägel waren bei Männern ein Zeichen von Unzivilisiertheit. Schwarze Ränder unter den Fingernägeln machten ihn rasend.
    Er benutzte den Schleifstein, mit dem er sonst sein finnisches Jagdmesser schärfte, als Nagelfeile. An dem rauen Stein zerrieb er seine Nägel zu feinem Mehl, doch auch die Haut auf den Fingerspitzen schabte er dabei ab.
    Susanne Möninghoff saß in der Ecke und sah ihm zu. Er hatte sie nicht vergewaltigt, und langsam glaubte sie auch nicht mehr daran, dass er es tun würde. Er hatte etwas anderes mit ihr vor. Etwas ganz anderes.
    Er saß auf dem Boden vor seinem Laptop, während er seine Fingernägel über den Schleifstein sausen ließ. Sie hätte zu gern gewusst, was er dort sah. Es mussten bewegliche Bilder sein, die ihn amüsierten. Manchmal schaltete er um, wie im Fernsehen auf ein anderes Programm. Er schnalzte mit der Zunge und lachte. Sein Aussehen bekam etwas Freundliches.
    Sie stellte sich vor, dass auf dem Laptop vielleicht gar nichts zu sehen war, dass alles schwarz war und sich die Dinge nur in seinem Kopf abspielten. Bei dem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen. Ein berechnender, kühler Täter war ihr lieber als ein verrückter Spinnkopf, der nicht wusste, was er tat.
    Jetzt, da er so gutgelaunt vor seinem Computer saß, wagte sie ihn zu fragen: »Was haben Sie mit mir vor?«
    Ohne vom Computer aufzusehen, nahm er die Reitgerte, die neben ihm auf dem Boden lag und schlug nach dem alten, an den Stuhl gefesselten Mann.
    »Hörst du, Alter? Sie hat es immer noch nicht kapiert. Sie weiß nicht, worum es hier geht. Sag du es ihr!«
    Heinrich Jansen röchelte. Er ist dem Tod näher als dem Leben, dachte Susanne Möninghoff. Sie hoffte für den alten Mann,
dass er noch eine Weile durchhalten würde. Er konnte ihr zwar überhaupt nicht helfen, trotzdem fand sie den Gedanken, mit Thomas Hagemann ganz allein zu sein, absolut unerträglich.
    Er sprach jetzt liebevoll mit seinem Gefangenen: »Ich weiß, was du sagen willst. Gib dir keine Mühe. Spar deine Kräfte. Ihr fehlt die körperliche Ertüchtigung, stimmt’s? Ohne körperliche Ertüchtigung funktioniert gar nichts. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Schlaffer Körper, schlaffer Geist.«
    Dann wandte er sich an Susanne Möninghoff: »Ich werde dich trainieren. Fang schon mal mit Liegestützen an. Fünfzig vor dem

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