Ostfriesenblut
herunter. Er bekam eine Gänsehaut, wenn er Ann Kathrin so reden hörte. Ihre Augen sagten ihm, dass sie jetzt die Spur aufgenommen hatte. Niemand konnte sie mehr daran hindern, diesen Fall zu Ende zu bringen.
Sie tippte auf das Bild und sagte: »Da hat uns jemand den Krieg erklärt, Rupert.«
Rupert schlug vor, eine Sonderkommission zu bilden, Psychologen hinzuzuziehen und andere Fachleute. Profiler vom BKA . Aber Ann Kathrin hörte seine Worte schon gar nicht mehr. Sie waren nur Geräusche für sie.
Wie mit einem Tunnelblick konzentrierte sie sich ganz auf die Bilder. Nichts anderes um sie herum nahm sie mehr wahr.
Rupert wollte weiter auf sie einreden, aber Weller zog ihn zur Seite. »Brüll ihr nicht ins Ohr. Die kriegt jetzt sowieso nichts mit. Schau sie dir doch an.«
Rupert drehte sich um und zischte: »Ja, der könntest du jetzt vermutlich … «
Er wollte sagen »ein Kind machen und sie würde es nicht mal merken«, aber er schluckte den Satz hinunter, denn er sah, dass Weller die Faust ballte.
Rupert grinste Weller wissend an. Sein geschiedener Kollege, der gute Frank Weller, der sich noch vor kurzem lang und breit darüber ausgelassen hatte, was für räuberische Tiere Frauen waren, wie sehr sie Männer ausnahmen und dass die Gesetze in Deutschland geradezu dazu einluden, einen Ehemann auf ewig zu versklaven, der war bereit, sich für die Ehre seiner Chefin zu prügeln.
»Es gibt nur ein wirkliches Verbrechen, das hier in Deutschland keiner verzeiht«, hatte Weller vor gar nicht langer Zeit gesagt. »Du musst heiraten und Kinder kriegen. Dann machen sie dich fertig. Da ist nichts mit Bewährung, auch nichts mit Gnadengesuchen, vorzeitiger Haftentlassung oder Resozialisierung. Für einen Mord sitzt du in Deutschland selten länger als zehn Jahre. Als Exmann kriegst du dreißig Jahre und länger aufgebrummt.«
Rupert fragte sich, was Ann Kathrin zu den Ansichten ihres neuen Liebhabers sagen würde, da sie sich doch selber gerade von ihrem Mann getrennt hatte. Dann schmunzelte Rupert in sich hinein. Vielleicht, dachte er, versteht sie Weller ja sogar und ist mit ihm einer Meinung. Vermutlich muss Ann Kathrin ja jetzt Unterhalt für ihren Sohn zahlen und wahrscheinlich auch für ihren Mann.
Rupert stellte sich vor, wie die beiden abends zusammensaßen und bei einem Glas billigem Rotwein über ihre Expartner herzogen. Er fühlte sich irgendwie gut dabei und wusste selbst nicht, warum er plötzlich so einen Hass auf Weller und Ann Kathrin hatte. Lag es nur daran, dass die beiden sich verliebt hatten? Konnte er nicht aushalten, dass so etwas in seiner Nähe geschah?
Ann Kathrin hielt den Kopf schräg. »Zeig mir das größer. Mach das größer. Das. Ja. Genau. Da!«
»Das Buch?«
»Das da unten. Am Buchrücken. – Na bitte«, rief sie. »Bingo!
« Sie klatschte mit der rechten Faust in die offene Handfläche der Linken. »Das ist ein Büchereibuch!«
Weller und Rupert sahen es sich genau an. Es war ein Angelique-Roman.
Angelique und der König.
»Ja, gut«, sagte Rupert, »sie hat sich das Ding in einer Bibliothek ausgeliehen und wahrscheinlich nicht zurückgegeben. Aber deswegen wird sie ja nicht gerade in der Verbrecherkartei gelandet sein. Wie sollen wir sie bitte mit dem Hinweis finden? Sie hat ein Buch aus irgendeiner Bücherei im Regal.«
Ohne auf Rupert einzugehen, fragte Ann Kathrin Charlie: »Kann ich das als E-Mail-Anhang verschicken?«
»Na klar. Jederzeit.«
Dann drehte sie sich zu Rupert und Weller um. »Alle Bibliotheken haben heutzutage E-Mail-Anschluss. Das verschicken wir. Mit höchster Dringlichkeit. In irgendeiner Bibliothek werden sie erkennen, dass sie genau solche Aufkleber hinten auf ihre Angeliquen heften. Und dann sind wir nur noch so ein Stückchen von der guten alten Dame entfernt.«
»Siehst du, das meine ich«, sagte Weller mit unverhohlener Bewunderung. »Sie sieht Dinge, die uns einfach nicht auffallen, und zieht daraus Schlussfolgerungen, auf die wir nicht kommen würden.«
»Ja, und soll das jetzt an alle Bibliotheken in Ostfriesland oder auch in Niedersachsen oder in ganz Deutschland oder was?«
»O nein«, sagte Ann Kathrin. » Natürlich auch in Österreich, in der Schweiz und auch in Dänemark gibt es deutsche Bibliotheken. Luxemburg und … «
Rupert hob die Arme. »Schon gut. Schon gut.«
Rupert und Weller verließen Charlies computervermülltes Büro.
»Beeilung, Jungs!«, rief Ann Kathrin Klaasen hinter ihnen her. »Es ist früh am Tag! Die
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