Ostfriesenblut
betreuten Wohnen über die Abwechslung, andere erschraken und fürchteten, dass etwas mit ihren Enkeln nicht stimmte. Viele waren gar nicht zu Hause, sondern spazierten bei diesem schönen Wetter bereits durch den Park am Schloss Jever.
Ann Kathrin saß schon im Wagen nach Jever, als sie die Meldung erreichte, einige Türen seien verschlossen geblieben, weil die Damen nicht aufgemacht hätten oder auch einfach nicht zu Hause waren.
Damit gab Ann Kathrin sich natürlich nicht zufrieden: »Wenn euch eine Tür nicht geöffnet wird, zieht dort sofort massive Kräfte zusammen, brecht die Tür auf.«
Ann Kathrin ließ keine Einwände gelten: »Nein, Vorschriften hin, Vorschriften her, ruft um Himmels willen keinen Schlüsseldienst! Einfach die Türen aufbrechen und rein. Die erste Pflicht von uns ist es, Menschenleben zu schützen. Vermutlich befindet sich hinter einer dieser geschlossenen Türen eine gefangene Frau, die sich zu Tode hungern soll. Vielleicht ist der Täter bei ihr. Vielleicht ist sie allein. Seid vorsichtig. Der ist garantiert nicht zimperlich.«
Die Polizeikräfte in Jever waren es nicht gerade gewöhnt, Anweisungen aus Aurich entgegenzunehmen, aber niemand stellte Ann Kathrin Klaasens Autorität in Frage. Hier wurden keine Dienstwege eingehalten. Hier wurde entschlossen gehandelt.
Fast zeitgleich wurden sechs leerstehende Wohnungen aufgebrochen und durchsucht. Eine 82 -jährige Dame bekam einen Schreikrampf, als die Polizeibeamten ihre Wohnung stürmten. Sie hatte mit einem Kopfhörer vor dem Fernsehgerät gesessen und das Türklingeln nicht gehört. Zwei andere Damen wurden aus ihren Betten aufgeschreckt. Eine kam vom Einkauf zurück und hielt das alles für einen Überfall. Sie rief die Polizei an und stellte sich dann mutig den »Einbrechern« entgegen. Eine alte Dame, die man auffand, war tot.
Schon im Flur schlug Ann Kathrin Klaasen der Verwesungsgeruch entgegen. Sie fragte sich, wie es möglich war, dass niemand etwas davon bemerkt hatte.
Heiko Reuters, dem jungen Kollegen von der Spurensicherung, wurde augenblicklich schlecht. Sein Kollege Abel, der von den meisten
Kain
genannt wurde, war da abgebrühter.
Schon im Flur zog Weller sein japanisches Heilöl aus der Tasche und träufelte sich zwei Tropfen in den Schnurrbart. Die Dämpfe stiegen in seine Nase. Sofort hatte er Tränen in den Augen, aber er wusste, dass er so alles besser überstehen konnte.
Er bot Ann Kathrin das Fläschchen an, doch sie schüttelte
den Kopf. Er ahnte, warum. Sie wollte ihre Sinneseindrücke durch nichts täuschen lassen. Auch der Geruch an einem Tatort spiele für sie eine Rolle.
Sehen und Hören sind nur zwei wichtige Sinne
, hatte sie von ihrem Vater gelernt.
Wenn wir die anderen Wahrnehmungsformen vernachlässigen, werden wir am Ende auch taub und blind. Stell dir ein schönes Essen vor, Ann Kathrin. Doch es riecht nach Aas. Oder ein verdorbenes Essen, das aber noch gut riecht. Du weißt sofort, hier stimmt was nicht.
Maria Landsknecht war seit mehreren Tagen tot. Sie hing, mit Teppichklebeband fixiert, auf dem Stuhl vor dem Buchregal. Genau so, wie sie fotografiert worden war.
Der Arzt schätzte, sie sei seit mindestens vierzehn Tagen tot. Weller glaubte an höchstens zehn Tage, denn man musste die Schwüle hinzurechnen.
In der Tat war es stickig heiß in der Wohnung, und das kam Ann Kathrin Klaasen merkwürdig vor. Zwar stand die Sonne auf den Fenstern, doch das erklärte nicht die Hitze.
Sie sah sich die Klimaanlage an und staunte. Sie stand auf Winterbetrieb. Die Heizkörper waren warm.
»Fasst die Heizung nicht an«, warnte Ann Kathrin. »Da muss der Mörder dran herumgespielt haben.«
Abel von der Spurensicherung wunderte sich. Er war schon an vielen Leichenfundorten gewesen, aber dass ein Mörder sich an der Heizungsanlage zu schaffen machte, war ihm neu.
»Ich glaube kaum, dass sie bei dem Wetter die Heizung auf fünf gestellt hat.«
»Und warum sollte der Täter das tun?«
Ann Kathrin antwortete nicht mit Worten. Sie guckte nur und sowohl Abel als auch Weller wurde ganz anders. Natürlich. Er wollte die Frau quälen. Sie sollte in einer überhitzten Wohnung langsam austrocknen.
Abel und Reuters stellten sofort Fingerabdrücke sicher. Reuters
fotografierte die Leiche von allen Seiten. Wieder und wieder die mit Teppichklebeband gefesselten Beine und Arme. Auch ihren Mund hatte der Täter mit Klebestreifen verschlossen.
Als sie losgeschnitten wurde, fotografierte er ihre
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