Ostfriesenblut
Leiche von Frau Orthner gefunden.
»Das ist doch komisch«, sagte Weller. »Keiner sieht einen Fremden rein- oder rausgehen. Die Nachbarn kriegen nichts mit. Das geht eigentlich alles nur, wenn unser Killer unsichtbar ist oder mit den Verwandten unter einer Decke steckt. Vielleicht machen die Verwandten es sogar selber und versuchen uns nur den Eindruck einer Serie zu vermitteln.«
Ohne genaue Argumente dagegen zu haben, schüttelte Ann Kathrin den Kopf. »Nein. Es ist einer. Und der hat sich jetzt den Kopf des Ganzen geholt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er nicht vorher schon ein paar Morde begangen hat. Wenn ich mich in ihn hineinversetze, dann ist Heinrich Jansen die Krönung seiner Taten.«
»Du meinst, wenn wir seine Mitarbeiter aufsuchen, werden wir ein paar Leichen finden?«
Sie schluckte. »Ich fürchte, ja. Wir sind doch erst auf seiner Spur, seitdem Ostfriesenblut an seinen Händen klebt.«
Noch bevor sie in Aurich im Fischteichweg in der Polizeiinspektion ankamen, wussten sie Bescheid. Von den anderen Mitarbeitern lebte niemand mehr. Der Hausmeister, Erwin Rottländer, war schon 2005 direkt vor seiner Wohnung in Essen überfahren worden. Der Fahrer war unbekannt. Fahrerflucht.
Karl Fink hatte sich über Weihnachten 2006 in seiner Bamberger
Wohnung in der Gartenstadt aufgehängt. An seinen Armen waren Brandwunden von Zigarettenkippen gefunden worden. Man ging davon aus, dass er sich diese Verletzungen sowie einige Schnitte am Handgelenk selber zugefügt hatte. Er hatte als depressiv gegolten.
Frau Stahlmüller, die Hauswirtschafterin, war im Januar dieses Jahres im Biggesee ertrunken. Auch hier lag der Verdacht auf Suizid nahe.
»Na bitte«, sagte Ann Kathrin Klaasen. »Heinrich Jansen ist der krönende Abschluss seines Rachefeldzugs.«
Sie brauchte ein bisschen Luft und lief in Aurich über den Marktplatz in den Carolinenhof und kaufte sich dort ein Brötchen mit Tomate und Mozzarella. Dazu trank sie ein Glas frischgepressten Orangensaft. Sie schlang das Brötchen regelrecht hinunter. Sie war immer noch wütend auf Hero und seinen Anruf.
Zum Abschluss aß sie einen Bratrollmops mit Zwiebeln und trank eine Tasse viel zu starken Kaffee, der ihr gleich auf den Magen schlug.
An der großen Dienstbesprechung nahmen diesmal nur Ann Kathrin, Weller, Rupert, Ubbo Heide, Staatsanwalt Scherer und die Pressesprecherin Rieke Gersema teil. Ann Kathrin hätte sie fast nicht erkannt. Rieke war, wie Rupert das nannte, »die schärfste Schnitte im Fischteichweg«. Sie trug normalerweise auffällig kurze Röcke und enge Pullis, doch heute war alles ganz anders. Rieke Gersema war ungeschminkt, ihre Haare hingen strähnig herab, ihre Jeans war an den Knien ausgebeult, die Turnschuhe an den Rändern abgelaufen.
Ann Kathrin fragte sich kurz, was mit ihr los war. Hatte ihr jemand das Herz gebrochen? Verhielt sie sich bei Liebeskummer genauso wie Ann Kathrin? Machte sie sich, statt sich herauszuputzen, zur grauen Maus?
Ihr Anblick erinnerte Ann Kathrin daran, dass sie eigentlich zum Friseur wollte. Sie wollte wieder schön wirken. Ja, sie wollte, dass Weller sie toll fand. Und auch Hero sollte sehen, was für eine tolle Frau er verlassen hatte.
Zum ersten Mal seit langer Zeit empfand sie, dass die Dinge sich wirklich gut für sie entwickelten. Und das kam komischerweise durch den Anblick von Rieke Gersema. Einer Frau, der sie sich immer unterlegen gefühlt hatte.
»Noch darf nichts davon nach draußen, das ist ja wohl klar«, sagte Ubbo Heide mit Blick auf Rieke Gersema.
Rieke verzog die Mundwinkel. So etwas musste man ihr nun wirklich nicht sagen. Im Grunde war das eine Beleidigung, und sie fragte sich, warum Ubbo Heide das getan hatte.
»Das war gute Arbeit, Ann«, lobte Ubbo Heide. »Wirklich sehr gute Arbeit.«
Ann Kathrin war das unangenehm. Sie wollte auf keinen Fall gegen Rieke Gersema ausgespielt werden. Ohne seine Sätze an Rieke hätte das Lob Ann Kathrin gutgetan.
Rupert hüstelte demonstrativ, dann sagte er: »Es spielt zwar keine große Rolle, aber Abel und ich haben die Bücher in der Truhe entdeckt. Ich habe dann die Kollegin Klaasen informiert.«
Ubbo Heide war ein bisschen genervt von diesem Einwand. »Wir gehören alle zu einem Team«, sagte er. »So wie die Vorgesetzten sich die Niederlagen zurechnen lassen müssen, so gehören ihnen auch die Erfolge. Das ist so ähnlich wie in der Politik. Ein Minister muss gehen, wenn untere Chargen Mist gebaut haben und er nicht mal eine Ahnung
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