Ostfriesenblut
das Heinrich Jansen geleitet hat. Dort haben auch Regina Orthner und Maria Landsknecht gearbeitet, Frau Orthner als Erzieherin, Frau Landsknecht als Köchin. Alle Personen, die wir bisher als Mitarbeiter des Heims ausfindig machen konnten, sind nicht eines natürlichen Todes gestorben.«
Er räusperte sich, legte eine kurze Pause ein und sah sich in der Runde um. Ruperts Spiel mit dem Kugelschreiber zerrte an seinen Nerven. Erstaunt stellte er fest, wie geräuschempfindlich er war. Dieses Rein- und Rausklicken der Mine machte Weller aggressiv.
Rupert wurde von Wellers Blick getroffen. Sofort legte er den Kugelschreiber aus der Hand.
Dann fuhr Weller fort: »Nun ist eine dramatische Wende eingetreten. Wir müssen davon ausgehen, dass Susanne Möninghoff aus Hage gestern Morgen in Norddeich-Mole von Thomas Hagemann entführt worden ist.«
Der Kollege aus Essen fühlte sich deutlich unwohl in seiner Haut. Er hatte eine schwarze Lederjacke an und machte ein bisschen auf den frühen Schimanski. Er trug ein Goldkettchen und einen Dreitagebart. Aus seinem offenen blauen Hemd kräuselten sich die schwarzen Brusthaare.
»Welchen Bezug hat diese Susanne Möninghoff zu dem Heim und zu dem ganzen Fall? Weiß man das schon?«, fragte er.
Weller riskierte einen kurzen Seitenblick zu Ann Kathrin, dann sagte er: »Zunächst mal müssen wir davon ausgehen, dass es sich bei dem Täter um Thomas Hagemann handelt. Jemand, der ihm zumindest sehr ähnlich sah, wurde morgens von unserem Zeugen, Herrn … «, er blätterte kurz in den Akten, »Herrn Harald Kühnert am Deich gesehen. Er folgte offensichtlich Frau Möninghoff.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, nörgelte der Schimanski aus dem Ruhrgebiet. Die zurückhaltende ostfriesische
Art machte ihn unruhig. Er war schnelleres, härteres Durchgreifen gewohnt. Er wollte, dass hier »endlich Tacheles geredet wird«.
»Thomas Hagemann hat aus Gründen, die uns unbekannt sind, die Leiche von Regina Orthner vor die Tür unserer Kollegin Klaasen gelegt.«
Schimanski schüttelte den Kopf. Er war die ganze Nacht durchgefahren und hatte jetzt das Gefühl, in einen Haufen Verrückter geraten zu sein.
»Frau Möninghoff und Kommissarin Klaasen kennen sich.«
In seiner direkten Art wirkte der Kommissar aus Essen rüpelhaft auf seine ostfriesischen Kollegen. Nur Rupert freute sich, weil der Mann ihm ähnlich war.
»Vielleicht kann die Kollegin Klaasen uns ja etwas dazu sagen?«, forderte Schimanski, als hätte er bereits den Vorsitz der Versammlung übernommen.
Ann Kathrin räusperte sich, warf die Haare nach hinten und drückte beide Füße fest auf den braunen Schlingenflor-Teppichboden, als hätte sie Angst, beim Sprechen den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»Er versucht offensichtlich, in irgendeiner Art eine Beziehung zu mir aufzubauen. Und es ist fast so, als wolle er von mir überführt werden.«
»Na, dann beeilen Sie sich mal dabei, Frau Kollegin.« Der Kripomann aus Bamberg grinste: »Wir wollen ihn doch nicht so lange warten lassen, bis er noch zwei, drei Leute auf dem Gewissen … «
Charlie Thiekötter massierte sich die Schläfen. Das alles hier ging in die völlig falsche Richtung. Er befürchtete, die Bombe könne jeden Augenblick platzen. Wer in so einer Situation den Kollegen wichtige Informationen vorenthielt, konnte nicht mit Streicheleinheiten rechnen.
Ann Kathrin nahm einen Schluck Wasser und sprach dann
aus, was vermutlich doch die meisten längst wussten: »Susanne Möninghoff ist die neue Lebensgefährtin meines Mannes.«
Schimanski pfiff durch die Lippen. Solch ungebührliches Verhalten kannte man hier sonst nur von Rupert. Der reckte sein Kinn vor und meldete sich, was gar nicht seiner Art entsprach. Ubbo Heide nahm ihn dran wie einen braven Schüler.
»Nun, es ist uns allen deutlich, dass der Täter Kontakt zu der Kollegin Klaasen sucht. Möglicherweise begeht er sogar einige Taten nur, um damit eine bestimmte Art von Nähe zu ihr herzustellen.«
Weller ging sofort dazwischen. »Damit kann man kaum die Morde in Essen, Bamberg und Olpe erklären. Vielleicht war er es einfach leid, zu morden, ohne dass die Kripo ihn zur Kenntnis nahm. Vielleicht hat er sich die Kommissarin auch nur willkürlich ausgesucht, und es hätte genauso gut dich oder mich treffen können.«
»Das glaubst du doch selber nicht«, konterte Rupert. »Der Täter versucht keine Beziehung aufzubauen. Er hat längst eine oder glaubt zumindest, eine zu haben.«
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