Ostfriesenblut
wandte Rupert sich an Ann Kathrin. Er beugte sich weit über den Tisch vor und legte seinen Kopf fast auf die Tischplatte, um ihr in die Augen sehen zu können, doch sie stellte sich dem Blickkontakt nicht und sah demonstrativ weg.
»Ann, seien wir doch mal ehrlich. Du musst ihn kennen! Und jetzt Butter bei die Fische: Wann seid ihr euch wo schon mal begegnet?«
Ohne Rupert anzusehen, sagte Ann Kathrin kalt: »In meinem Leben ist bisher noch nie ein Thomas Hagemann aufgetaucht.«
Rupert hob die Hände und ließ sie beide gleichzeitig auf die Tischplatte fallen, dass es nur so klatschte. »Aber Vorsicht, Vorsicht, liebe Kollegin. So einfach ist das doch alles nicht. Ich könnte jedenfalls keine Hand dafür ins Feuer legen, dass ich dem Typen nicht schon einmal begegnet bin. Vielleicht hat er
sich mal zurückgesetzt gefühlt. Wir beleidigen ständig Leute, ohne es zu wollen und ohne es zu merken. Vielleicht hat er dich schon lange von weitem bewundert, möglicherweise mal vor Jahren kennengelernt, in einer Diskothek oder beim Sport. Vielleicht hat es da mal einen One-night-Stand gegeben, und er hat sich mehr davon versprochen als du und … «
Ann Kathrin federte hoch. »Ich weiß, mit wem ich im Bett war und auch wann. Ich kann jederzeit eine komplette Liste darüber abgeben, sofern die Situation es verlangt. Der Name Thomas Hagemann wird sich aber nicht darauf befinden!«
Rupert wand sich auf dem Stuhl und deutete Ann Kathrin an, sie solle sich doch bitte wieder setzen. »Können wir mal die Bälle etwas flach halten hier? Ich will dir doch nichts, herrjeh! Es lässt sich aber nicht leugnen, dass dieser Hagemann irgendwie immer in deine Richtung spielt. Es muss eine Verbindung zwischen euch beiden geben!«
Weller legte eine Hand auf Ann Kathrins Arm. Sie setzte sich wieder und sah sich in der Runde um. Jetzt suchte sie Blickkontakt zu jedem Einzelnen.
»Ich weiß nicht, was er mir beweisen will, indem er Susanne Möninghoff entführt hat. Ich denke, an ihm ist irgendein Verbrechen begangen worden, und er möchte, dass ich es aufkläre. Die Inschrift im Keller war deutlich.«
»So weit waren wir noch gar nicht«, warf Ubbo Heide ein und war froh, das Licht ausschalten und ein paar Dias an die Wand werfen zu können.
Der Kollege aus Bamberg gab sofort zu, so etwas noch nie gesehen zu haben. »Das war gut, Frau Kommissarin Klaasen! Aber noch nicht gut genug. Sie haben den Ort des Verbrechens gefunden.– Das kann doch nur eins heißen«, sagte er. »Der spielt Verstecken mit euch. Der will, dass ihr ihn findet. Er ist fast enttäuscht, dass ihr ihn noch nicht habt.«
Das ist es, dachte Ubbo Heide. Na klar.
Er schaltete das Licht wieder ein und gab seine Erkenntnis zum Besten. »Ja, ich fürchte, er will dich bestrafen, Ann, weil du ihn immer noch nicht gefunden hast.«
Schimanski schüttelte den Kopf. »Aber das ist doch albern. Ich bitte euch! Wenn er sie bestrafen will, entführt er doch nicht die neue Freundin ihres Mannes. Das hört sich doch eher danach an, als wolle er ihren Mann bestrafen.«
Irgendjemand kicherte. Ubbo Heide sah sich zornig um, konnte aber nicht genau ausmachen, wer es gewesen war.
Rieke Gersema bat um Gehör: »Ich weiß nicht, wie wir das nach draußen kommunizieren sollen. Was kann über diesen Fall wirklich bekanntgegeben werden? Inzwischen steht bei uns das Telefon nicht mehr still.«
Na klasse, dachte Weller. Die Presse. Auch das noch.
Ann Kathrin und Charlie Thiekötter sahen sich an. Sie konnte es in seinem ehrlichen Gesicht lesen. Sie musste sich keine Sorgen machen. Er würde heute noch nicht mit der Sache herauskommen. Aber lange konnte er es nicht mehr für sich behalten, das war ihr auch klar.
»Er muss sie irgendwo ganz in der Nähe versteckt halten«, sagte Ubbo Heide. »So viele Möglichkeiten gibt es gar nicht. Ostfriesland ist schließlich nicht Frankfurt. Hier gibt es keine anonymen Hochhäuser, in denen jemand unerkannt verschwinden kann.«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher«, hustete Schimanski. »Mit eurer ostfriesischen Heimeligkeit ist es doch jetzt wohl zu Ende.«
»Wir haben inzwischen eine Liste aller in Frage kommenden Gebäude gemacht.«
»Wie – in Frage kommender Gebäude?«, fragte der Essener Kommissar entgeistert. »Meinen Sie Gebäude, in denen üblicherweise in Ostfriesland Gekidnappte gefangen gehalten werden, oder was?«
Auf solche Frechheiten ging Ubbo Heide nicht ein, und witzig konnte er es erst recht nicht finden.
»Gebäude«,
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