OstfriesenKiller
Tränen.
Ja, sie müsse heute ganz alleine bedienen, stieß sie voller Wut hervor. Der Chef sei mit ihrer Kollegin Nicole Bassermann in Urlaub gefahren. An die Atlantikküste. Leuchttürme fotografieren.
Sie tippte sich an die Stirn. »Der hat so nen Spleen. Steht auf solche Phallussymbole.«
»Ritterspiele mag er auch, hab ich gehört«, sagte Weller.
»Na klar. Schwerter, Lanzen. Türme. Der ist völlig besessen von so was.«
»Nicole Bassermann – ist das die junge Frau, die ich bei meinem letzten Besuch hier gesehen habe?«
Silke Gabriel nickte und strich sich die Haare aus der Stirn.
»Warum sind Sie so wütend darüber? Weil er Sie hier mit der Arbeit alleine sitzen lässt?«
Weller ahnte die Wahrheit, aber er wollte es nicht glauben. Etwas in ihm sperrte sich dagegen. War sie eifersüchtig?
»Haben die beiden was miteinander? Ich meine, wenn sie zusammen in Urlaub fahren, dann …«
»Der hat doch mit jeder was!«, fauchte Silke Gabriel. »Glauben Sie etwa, wer die Beine nicht breit macht, kriegt hier einen Job?« Sie tippte sich an die Stirn. »Das ist heutzutage nicht mehr so! Der betont doch dreimal am Tag, dass auf diese Stelle hier fünfzig andere warten.«
»Was soll das heißen? Gibt es jetzt für Jobs in Imbissbuden eine Besetzungscouch wie in Hollywood, wenn’s um Hauptrollen geht?«
Weller wusste, dass er gerade ein plattes Klischee bediente, aber ihm fiel so schnell nichts anderes ein, und er wollte seiner Empörung Luft machen. Silke Gabriel war zehn, vielleicht fünfzehn Jahre jünger als er, hatte schmale Hüften, einen Schmollmund und große, ausdrucksstarke Augen. Sie war ein bisschen zu dramatisch geschminkt, aber eine schöne junge Frau, fand Weller.
»Das ist nicht mehr so wie zu Ihren Zeiten«, sagte sie, und es tat ihm deutlich weh, wie alt sie ihn demnach einschätzte.
»Glauben Sie, ich hätte nichts gelernt? Ich hab mein Abitur gemacht, mit 1,8. Und jetzt steh ich hier und muss froh sein, wenn ich Überstunden machen darf. Für sechs Euro!«
Weller schluckte. »Und dafür hat Ihr Chef … sexuelle Dienstleistungen von Ihnen verlangt? Habe ich das richtig verstanden? Sie könnten ihn deswegen anzeigen, das ist …«
Sie lachte spöttisch. »Wo leben Sie eigentlich? Anzeigen? Ich bin die Letzte in unserer Familie, die überhaupt noch einen Job hat. Meine Eltern sind gezwungen, unser Haus zu verkaufen. An so einen Boutiquebesitzer aus Düsseldorf, der möchte hier gerne ein Ferienhäuschen an der Küste haben. Mein Vater ist froh, wenn er für den als Hausmeister arbeiten kann.«
»Moment, Moment. Stimmt es, oder stimmt es nicht, dass Herr Kohlhammer Donnerstagnacht bis elf Uhr hier im Imbiss war?«
»Wollen Sie das genau wissen? Er ist um kurz nach sieben Uhr gegangen. Ich weiß es ganz genau. Er hat mir noch auf den Arsch geklatscht, das macht er immer, wenn er geht.«
»Wo ist er dann hin?«
»Ja, glauben Sie, der meldet sich bei mir an und ab?«
»Er behauptet aber, Sie seien Zeugin, dass er zur Tatzeit hier …«
»Klar behauptet er das. Und er geht natürlich davon aus, dass wir vor Gericht nicht gegen ihn aussagen. Dann sind wir die Jobs hier nämlich garantiert los. Oder meinen Sie, der leitet den Laden vom Knast aus?«
Weller fühlte sich eingeengt. Er bekam hier Beklemmungen. In dieser kleinen Welt, in diesem Schnellrestaurant, konnte er kaum atmen. Er glaubte dieser jungen Frau jedes Wort. Aber in so einer Welt wollte er nicht leben. Dafür war er nicht Polizist geworden.
»Wird Ihre Freundin uns das Gleiche erzählen? Oder gibt die Herrn Kohlhammer ein Alibi?«
»Die ist nicht meine Freundin.«
»Und ist die jetzt mit ihm in Urlaub gefahren, um den Job hier zu behalten? Wollen Sie mir wirklich weismachen, dass junge Frauen heute so weit gehen, um …«
Sie nahm ein großes Küchenmesser und hackte eine Zwiebel klein. »O nein, ganz so einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist das nicht. Der sagt nicht, du musst mit mir bumsen, wenn du den Job hier willst. Der kann charmant sein, das glauben Sie gar nicht. Da fühlt man sich richtig gemeint. Die sieht sich schon als neue Frau Kohlhammer. Und ich bin für sie doch nur eine blöde Ziege, die sie loswerden will. Wenn Sie die fragen, wird sie Ihnen erzählen, dass ich ihren Typen verführt habe, nur um den Job hier zu kriegen … Ach, Mensch, Sie haben doch gar keine Ahnung!«
Sie warf das Messer auf die Arbeitsplatte.
»Und Sie haben das auch mal geglaubt?«, fragte Weller.
Silke Gabriel biss sich
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