Ostfriesensünde
und er sich ihnen nicht mehr entziehen konnte. Sonst sah er lieber zu seiner Mutter, aus dem Fenster oder zu Weller.
Rose Gaiser fragte, ob das ein Scherz sein sollte, sie könnte jedenfalls nicht darüber lachen. Sie hätte natürlich jedes Mal Anzeige erstattet. Zigmal gegen Unbekannt und einmal gegen einen Mann von »dem Verbrecherverein«.
Huberkran ärgerte sich, weil er von den Kollegen aus Leer nicht längst darüber informiert worden war. Sie würden später ihr Waterloo erleben. Später. Jetzt widmete er sich ganz der Befragung von Rose und Lennart Gaiser.
»Was meinen Sie mit Verbrecherverein?«
Sie stöhnte, weil sie keine Lust hatte, die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen.
»
Gotteskinder
oder
Alle Kinder sind Gotteskinder
oder so.«
»Das hört sich jetzt nicht nach einer Verbrecherorganisation an«, sagte Huberkran und machte sich damit in den Augen von Lennart endgültig zum kompletten Idioten.
»Ja, wie sollen die sich denn sonst nennen?
Internationale kriminelle Psychopathen
oder was erwarten Sie?«, fragte Frau Gaiser spitz.
Lennart berührte seine Mutter am Arm. »Vielleicht sollten wir unseren Gästen Tee anbieten … «
»Aber selbstverständlich. Entschuldigen Sie, Herr Kommissar. Ich bin eine schlechte Gastgeberin, aber angesichts der Umstände … «
»Machen Sie sich nur keine Mühe. Uns reicht ein Glas Wasser, nicht wahr?«
Weller nickte, und Frau Gaiser klingelte nach dem Hausmädchen.
Weller kannte solche Szenen nur aus Filmen. Madame klingelte nach dem Hausmädchen … So antiquiert sich der Satz anhörte, so falsch war er auch. Frau Gaiser benutzte ein Glöckchen, das neben ihrer Teetasse stand. Es glänzte kupferfarben und hatte einen Holzgriff. Sie schüttelte es einmal kurz energisch. Sekunden später öffnete sich die Tür. Das Hausmädchen musste praktisch direkt vor der Tür gewartet haben.
»Tee für die Herren und etwas von unserer Ostfriesentorte.«
»Nein danke«, lehnte Weller ab, »für mich nicht.«
Aber auf ihn hörte das Hausmädchen nicht.
Als hätte es dieser Klarstellung bedurft, sagte Frau Gaiser: »Die ist hausgemacht.« Damit erledigte sich für sie jeder Einwand.
»Wir haben diesen Herrn Henn auf frischer Tat ertappt. Wir haben ihn der Polizei übergeben.«
»Hat er hier mit Ihnen auf die Polizei gewartet?«, fragte Huberkran ungläubig.
»Nein, er hat sich heftig gewehrt und meinen Mann geschlagen, aber wir haben ihn mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt.«
»Ihr Mann trug einen Elektroschocker?«
»Nein, mein Mann doch nicht, wo denken Sie hin, Herr Kommissar? Ich.«
Lennart Gaiser wippte auf seinen quietschenden Schuhsohlen auf und ab.
»Sie hatten einen Elektroschocker dabei?«
Frau Gaiser zog eine Schublade am Schreibtisch auf und legte ihn auf die lederne Schreibunterlage. » 300 000 Volt mit eingebautem Pfefferspray.«
Weller berührte das Ding nicht, sah es sich aber an.
»Nachdem wir dauernd belästigt wurden und hier sogar jemand einen Stein durchs Fenster geworfen hat, habe ich mich damit sicherer gefühlt.«
»Das kann man ohne Waffenschein frei kaufen«, erklärte Lennart.
»Ja, leider«, fügte Weller hinzu.
»Und dann haben die Sie in Ruhe gelassen?«, fragte Huberkran.
Lennart blickte demonstrativ aus dem Fenster. Seine Mutter antwortete: »Nein, das haben sie nicht. Ich wurde angezeigt wegen Körperverletzung. Dieser Verein stellte fünf Zeugen, die die Sache anders darstellten, als sie in Wirklichkeit war. Wir zahlten fünftausend Euro Schmerzensgeld und … «
Zornig zischte Lennart Gaiser: »Ich schlage vor, Sie lassen meine Mutter jetzt mit diesem alten Mist in Ruhe und bemühen sich lieber, meinen Vater zurückzuholen.«
Solche Vorwürfe von Familienangehörigen kannten Weller und Huberkran. Sie nahmen das ganz professionell, ließen es einfach an sich abtropfen, ohne darauf einzugehen.
»Wir haben diese Videoaufnahmen von Monika Schillinger in Einzelbilder aufgelöst. Bitte schauen Sie sich das mit uns noch einmal genau an. Vielleicht erkennen Sie mehr als wir. Das Auto, den Täter.«
»Wir kennen den Film«, sagte Lennart Gaiser kurz angebunden.
»Ja, aber in der Einzelbildauflösung … «
Lennart Gaiser schaute wieder durch die große Scheibe in den Garten.
Das Hausmädchen brachte den Tee. Die Kanne stand auf einem Porzellanstövchen, das für Huberkran sehr wertvoll aussah. Er musste sich eingestehen, dass ihn diese ganze neureiche Atmosphäre mehr beeindruckte als ihm lieb war. Er
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